II. Die Auswahl von Verfahren und Gerichtsentscheidungen
B. Die ostdeutschen Urteile – DDR-Justiz und NS-Verbrechen
II. Die Auswahl von Verfahren und Gerichtsentscheidungen
Die grosse Zahl der in der SBZ/DDR wegen NS-Verbrechen durchgeführten Verfahren – fast 17.000 Personen wurden zwischen 1945 und 1990 wegen solcher Verbrechen angeklagt – machte eine Auswahl unumgänglich.
1. Beschränkung auf NS-Tötungsverbrechen
Die Redaktion hat sich dafür entschieden, die Urteilssammlung – wie bei der westdeutschen Urteilsserie – auf Verfahren wegen ‚NS-Tötungsverbrechen‘ zu beschränken.[3] Darunter fallen allerdings nicht nur die klassischen ‚Straftaten wider das Leben‘, sondern auch Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Rechtsbeugung, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie die Tatbestände der Kontrollratsdirektive Nr.38 (insbesondere Denunziation), soweit dadurch der Tod eines Menschen verursacht wurde oder zumindest versucht worden ist, seinen Tod herbeizuführen. Dabei wird nicht darauf abgestellt, dass es zu einer Verurteilung gekommen ist. Massgeblich ist vielmehr die Anklage. Ferner kommt es nicht darauf an, ob die Todesfolge in einem nach dem Tatbestand des betreffenden Gesetzes relevanten Kausalzusammenhang mit der strafbaren Handlung steht. Weil der Todeserfolg bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und bei den Straftaten der Kontrollratsdirektive Nr.38 nicht zu den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen gehört und das Gericht sich somit dazu auch nicht zu äussern hatte, ist bei diesen Delikten ein solcher tatbestandsmässiger Zusammenhang in dem Urteil des erkennenden Gerichts auch nicht festgestellt worden.
Wie die Redaktion der westdeutschen Urteilssammlung hat die Redaktion sich bei ihrer Entscheidung von der Tatsache leiten lassen, dass die Aburteilung dieser Straftaten über einen sehr langen – 45jährigen – Zeitraum verfolgt werden kann, während die Ahndung von NS-Verbrechen ohne Todesfolge bereits 1955 ihr Ende fand. Zum anderen hat die Redaktion in Betracht gezogen, dass gerade diese Straftaten die Öffentlichkeit bis zum heutigen Tage beschäftigen und auch für die historische Wissenschaft diese Strafurteile wegen der bei Tötungsdelikten ausführlicheren Sachverhaltsdarstellung und Beweiswürdigung zu den auf-schlussreichsten Dokumenten gehören dürften.
Anders als in der westdeutschen Urteilsserie werden in dieser ostdeutschen Sammlung auch Verfahren wegen NS-Tötungsverbrechen, die vor dem 1.September 1939 begangen worden sind, berücksichtigt. Die Gegebenheiten, die eine solche Beschränkung bei den westdeutschen Verfahren erforderlich machten[4], lagen bei den ostdeutschen Verfahren nicht vor.
Die Redaktion hat es nicht für richtig erachtet, innerhalb der wegen NS-Tötungsverbrechen durchgeführten Verfahren eine weitere Auswahl zu treffen. Sie hat zwar erwogen, Verfahren, in denen Urteile ergangen sind, die weder von der tatsächlichen noch von der rechtlichen Seite bedeutsam erschienen, wie dies bei vielen Waldheimverfahren und mehreren der sehr zahlreichen Denunziationsverfahren der Fall ist, von der Veröffentlichung auszunehmen, sich dann aber doch dafür entschieden, hinsichtlich der Ahndung von NS-Tötungsverbrechen ein möglichst komplettes Bild zu vermitteln.
2. Veröffentlichung aller ergangenen Gerichtsentscheidungen
Die Überzeugung, dass dem Benutzer am besten mit einer vollständigen Darstellung der durchgeführten Verfahren gedient ist, hat auch zu der Entscheidung geführt, grundsätzlich alle in einem Verfahren ergangenen Entscheidungen zu veröffentlichen - also neben dem abschliessenden, rechtskräftigen Urteil der Tatsacheninstanz nicht nur sämtliche Rechtsmittelgerichtsentscheidungen, sondern auch - und insoweit abweichend von der Praxis in der westdeutschen Urteilsserie - die von einem Rechtsmittelgericht aufgehobenen und somit nicht rechtskräftig gewordenen Urteile der Tatsacheninstanz.[5] Und schliesslich kommen, soweit – nach 1990 – ein Rehabilitierungsverfahren durchgeführt worden ist, auch diese Entscheidungen bei dem betr. Verfahren zur Veröffentlichung. Unveröffentlicht bleiben nur die Beschlüsse, die ohne Begründung oder Anmerkungen das eingelegte Rechtsmittel als „offensichtlich unbegründet“ verwerfen[6], sowie – notgedrungen – die Entscheidungen, welche trotz langjähriger Bemühungen nicht aufgefunden werden konnten.[7]
[3] Jedoch sind in zwei Fällen Verfahren berücksichtigt worden, in denen den Angeklagten keine Verbrechen mit Todesfolge zur Last gelegt worden waren. Der erste Fall betrifft zwei Verfahren gegen Angeklagte, die wegen ihrer Beteiligung an der sog. Köpenicker Blutwoche angeklagt worden waren, ohne dass ihnen Beteiligung an den dort begangenen Tötungsverbrechen vorgeworfen wurde (Verfahren Nr.1201 und Nr.1570). Der andere Fall (Verfahren Nr.1139) betrifft ein weithin bekanntes Verfahren gegen eine wegen NS-Verbrechen ohne Todesfolge verurteilte angebliche Gestapomitarbeiterin, die am 17.6.1953 aus der Haft befreit und kurz darauf wegen Beteiligung an den damaligen Unruhen zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.
[4] vgl. Einführung und Erläuterungen, unter 3.
[5] Dies war der Redaktion bei den westdeutschen Urteilen infolge einer Auflage der westdeutschen Justiz verwehrt.
[6] Siehe DDR-JuNSV Register und Dokumente, 376 Fussnote 1.
[7] Ebenda, 369 unter I, II und III.
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