I. Zur Auswahl der veröffentlichten Gerichtsentscheidungen

 

A. Die westdeutschen Urteile: Justiz und NS-Verbrechen

I. Zur Auswahl der veröffentlichten Gerichtsentscheidungen [1]

Wie aus dem Vorwort ersichtlich, stützt sich die Urteilssammlung Justiz und NS-Verbrechen nach dem Willen der Redaktion auf eine ursprünglich für private Forschungszwecke angelegte Sammlung von Urteilen, die nach dem Ende des zweiten Weltkrieges in westdeutschen Strafverfahren ergangen sind und nach dem 1.September 1939 begangene nationalsozialistische Verbrechen zum Gegenstand haben. Dabei beschränkt sich diese Sammlung auf solche NS-Verbrechen, durch welche der Tod eines Menschen verursacht wurde oder zumindest versucht worden ist seinen Tod herbeizuführen. Daraus ergeben sich die ersten beiden Auswahlkriterien.

1. Beschränkung auf NS-Tötungsverbrechen

Die Sammlung umfasst nur Urteile wegen Mordes, Totschlags, sowie wegen Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Rechtsbeugung, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, jeweils mit Todesfolge. Dabei wird nicht darauf abgestellt, dass es zu einer Verurteilung gekommen ist. Massgebend ist vielmehr die Anklage. Ferner kommt es nicht darauf an, ob die Todesfolge in einem nach dem Tatbestand des betreffenden Strafgesetzes relevanten Kausalzusammenhang mit der strafbaren Handlung steht. Bei einigen Verbrechen könnte ein solcher Zusammenhang auch gar nicht festgestellt werden, da das Gericht sich darüber nicht auslässt, weil der Todeserfolg, z.B. bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit, nicht zu den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen gehört.

2. Verfahren wegen vor dem 1.9.1939 begangener Straftaten werden nicht berücksichtigt

NS-Verbrechen aus der Zeit vor dem 1.September 1939 wie z.B. im Rahmen der Machtergreifung, anlässlich der sog. Röhmrevolte und während der Ausschreitungen im November 1938 (‚Kristallnacht‘) werden in dieser Urteilssammlung nicht veröffentlicht. Das gilt auch für vor dem 1.9.1939 begangene Verbrechen in Konzentrationslagern, Denunziationsfälle und Justizverbrechen. Allerdings sind Verfahren, die sich mit Tatkomplexen befassen, die sowohl vor als auch nach dem 1.9.1939 liegen, einbezogen worden, auch wenn nur eine einzige der abgeurteilten Taten die Voraussetzung der Begehung nach dem 31. August 1939 erfüllte.

3. Grundsätzlich nur rechtskräftige Entscheidungen

Da die westdeutschen Landesjustizverwaltungen nur die Veröffentlichung rechtskräftiger Entscheidungen genehmigt haben, sind grundsätzlich nur solche Urteile, die mindestens hinsichtlich eines Angeklagten rechtskräftig geworden sind, veröffentlicht worden. Urteile, die nur teilweise rechtskräftig geworden sind, weil die Entscheidung z.B. im Strafmass aufgehoben worden ist, wurden nur dann veröffentlicht, wenn dies für das Verständnis des späteren rechtskräftigen Urteils oder des Verfahrens als Ganzem notwendig erschien. Urteile, die vollständig aufgehoben wurden, sind nicht veröffentlicht worden, es sei denn, dass die Aufhebung in Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens erfolgte oder der Angeklagte verstarb bevor über eine eingelegte Revision entschieden worden war.

4. Entscheidungen ohne Begründung bleiben unveröffentlicht

Veröffentlicht werden nur Entscheidungen, die mit einer Begründung versehen sind. Beschlüsse über die Verwerfung einer Revision als offensichtlich unbegründet, die ohne Begründung ergehen können, scheiden daher aus; die Entscheidung über die Revision wird dann nur in einer Fussnote erwähnt. Allerdings sind die Urteile bayerischer Schwurgerichte aus der Zeit vom Juli 1948 bis Oktober 1950, die keine Beweiswürdigung oder rechtliche Würdigung enthalten, sondern nur auf den sog. Wahrspruch der Geschworenen bezugnehmen, im Interesse der Vollständigkeit der Sammlung nicht ausgelassen worden. Die Bedeutung dieser Urteile liegt, obwohl sie historisch oder rechtlich bedeutsame Erkenntnisse kaum enthalten in ihrer Verwendbarkeit als Anhaltspunkt für etwaige weitere Forschungen – z.B. in den jeweiligen Strafakten – und als Beispiel für die weitgehende Beschränkung der Nachprüfbarkeit dieser Urteile in der Revisionsinstanz; vgl. Verfahren Lfd.Nr.165 Bd.V S.287 ff.

5. Vollständigkeit der Sammlung

Der Wert einer Sammlung von Gerichtsentscheidungen, die einen Überblick über die juristischen und zeitgeschichtlichen Aspekte der NS-Verbrechen und ihrer Ahndung durch die deutsche Justiz ermöglichen soll, hängt wesentlich von ihrer Vollständigkeit ab. Damit der Benutzer sich ein Urteil darüber bilden kann, inwieweit bei der hier stattfindenden Veröffentlichung dieses Erfordernis erfüllt werden konnte, soll zunächst dargelegt werden, auf welche Weise die einschlägigen Entscheidungen ermittelt worden sind und wie sie für diese Sammlung erworben wurden.


[1] Aus: Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen. Bd. I, zweite Auflage (Amsterdam 2011), S. XV ff.

 

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