Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.526a LG Karlsruhe 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.69

 

Lfd.Nr.526a    LG Karlsruhe    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.96

 

Bedeutung beimass, weil es sich hierbei um eigene Aktionen der Letten gehandelt haben mag. Wäre es eine in seiner Verantwortung und auf seine Anordnung hin geschehene oder wenigstens eine von seiner ausdrücklichen Billigung abhängige Exekution gewesen, dann wäre für ihn der Ausfall von Ku. und dessen dadurch unterbliebene Meldung allein kein ausreichender Grund gewesen, sie nicht auch nach Berlin zu melden. Bei der Tendenz, nach oben zu glänzen und mit möglichst hohen eigenen Vernichtungszahlen aufzuwarten, kann jedenfalls nicht sicher ausgeschlossen werden, dass E. diesen Exekutionen deshalb keine besondere Beachtung schenkte, weil sie in nicht ausschliessbarer Weise nicht in seiner Zuständigkeit ausgeführt wurden. Das wiederum würde seine Bestätigung vor allem in der Ereignismeldung Nr.26 selbst finden, in der über die Verhältnisse in Rositten und über die Exekution K. berichtet ist. Danach bestand in Rositten bereits beim Eintreffen des EK 1b eine lettische Hilfsdienstpolizei von 150 Mann; sie stand unter dem Kommando des Polizeipräfekten Matsch. Auf wessen Veranlassung diese Polizei sich formiert hatte und das Ausmass ihrer Selbständigkeit neben den Einheiten der Wehrmacht und der SS konnte nicht mehr festgestellt werden. Der Einwand aller drei Angeklagten, die Letten hätten in eigener Zuständigkeit gehandelt und die Exekution durchgeführt, ist indes nicht ganz von der Hand zu weisen.

 

Immerhin hat es sich bei den Letten nicht um Besiegte, um frühere Gegner der deutschen Kriegsführung gehandelt, denen jede Handlungsmöglichkeit genommen gewesen wäre. Sie waren vielmehr vom eigentlichen Gegner der deutschen Kriegsführung Unterdrückte, deren Eifer sich nicht gegen die Deutschen, sondern vielmehr mit diesen gegen den gemeinsamen Feind vom Osten her richtete. Deshalb ist nach alledem wenigstens nicht auszuschliessen, dass diese lettische Polizeitruppe ein hier nicht mehr feststellbares Mass an Selbständigkeit besass, das sie dann auch befähigt haben könnte, die Exekutionen nicht nur aus eigener Kraft, sondern auch in eigener Zuständigkeit auszuführen. Dafür würde auch der Wortlaut der Ereignismeldung Nr.26 sprechen "... beim Einzug der deutschen Truppen wurden ungefähr 60 führende Letten vollkommen verstümmelt vorgefunden. Daraufhin wurden 80 Juden liquidiert. Der Polizeipräfekt Matsch hat die Liquidierung der Juden übernommen ..".

Eine andere Beurteilung könnte geboten sein, wenn die Exekution als eine Vergeltungsmassnahme für die Verstümmelung deutscher Soldaten berichtet wäre. Dass es sich jedoch um "60 vollkommen verstümmelt vorgefundene führende Letten" gehandelt haben soll, lässt hingegen vermuten, dass die Zuständigkeit der lettischen Polizeitruppe wenigstens soweit gereicht hat. Darum - wie nicht auszuschliessen ist - wurde auch die Liquidierung von Polizeipräfekt Matsch übernommen.

 

Das Schwurgericht verkennt nicht, dass der Umstand, wie die Angeklagten gewusst haben, dass es sich hierbei wie auch bei der Exekution Ku. wenigstens teilweise um Juden gehandelt hat, wenigstens dem Anschein nach für eine Aktion des EK 1b spricht, dem ohnehin die Erfassung und Vernichtung der Juden oblag. Zwingend ist das hingegen nicht. Es ist nicht auszuschliessen, dass die in der Ereignismeldung Nr.26 gemeldete Verstümmelung führender Letten nach Auffassung der Letten dem jüdischen Bevölkerungsteil anzulasten war. Trotz ihrer - wenn vielleicht auch nur beschränkten - Selbständigkeit wird diese lettische Polizeieinheit mit dem am Orte befindlichen deutschen Einheiten in Verbindung gestanden haben. Darum liegt es nahe, dass E. auf diesem Wege von den Exekutionen erfahren hatte und daraufhin den beiden Angeklagten befahl, bei ihnen zugegen zu sein.

Wenn dies aber so gewesen ist, wie das Schwurgericht aus den dargestellten Gründen nicht mit Sicherheit und Überzeugung ausschliessen kann, dann muss das Gericht zu Gunsten der Angeklagten davon ausgehen, dass es keine eigenen Exekutionen des EK 1b gewesen sind und dass sich die Anwesenheit der Angeklagten K. und Ku. bei den Exekutionen auf eine beobachtende Tätigkeit beschränkt hat.

 

Damit aber würde der gegen die Angeklagten erhobene Schuldvorwurf der Beihilfehandlung zum Mord entfallen. Es fehlt an dem sicheren Nachweis, dass die Angeklagten - die Angeklagten K. und Ku. durch ihre Anwesenheit an der Exekutionsstelle, der Angeklagte E. dadurch, dass er dazu den Befehl gab - die Haupttat haben fördern wollen,