Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam
Lfd.Nr.830c BVerfG 16.04.1980 JuNSV Bd.XL S.872
aus den eingehenden Ausführungen des Schwurgerichts zur Schuldfrage. Wenn der Bundesgerichtshof ausführe, es möge dahinstehen, ob die Feststellungen des Schwurgerichts überhaupt zu einer Milderung der Strafe drängten, so lehne er es ab, sich mit der Frage, ob die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe hier schuldangemessen sei, zu befassen. Schon dies bedeute eine Verletzung der Grundrechte des Beschwerdeführers. Dem Bundesgerichtshof könne auch nicht gefolgt werden, wenn er ausführe, auch andere Angehörige von Gewalt verherrlichenden und ausübenden Gruppen könnten sich darauf berufen, dass in ihren Kreisen eine Gewalttat dieser Art gebilligt werde. Es gehe gerade nicht um die Frage nach der Auswirkung eines subkulturellen Normgefüges auf den Täter, der darin verfangen sei; einem solchen Täter sei mehr oder weniger deutlich klar, dass die Wertungen seines Milieus den Gesetzen und der Wertorientierung widersprächen, die in der staatlichen Gemeinschaft gelten. Dem Schwurgericht sei es vielmehr um die Problematik staatlichen Verbrechens gegangen. Im übrigen müsse es darauf ankommen, im Einzelfall für einen bestimmten Täter, der bestimmte Straftaten begangen haben solle, eine schuldangemessene Strafe zu finden.
Der Verhängung der schuldangemessenen Strafe im Einzelfall könne auch nicht durch Berufung auf einen vermeintlich eindeutigen Willen des Gesetzes ausgewichen werden. Die Strafgerichte müssten vielmehr in jedem Einzelfall den Straftatbestand, aber auch den allgemeinen Teil des Strafrechts so auslegen, dass eine schuldangemessene Strafe verhängt werden könne. Die Auslegung des allgemeinen Teils des Strafrechts, wie sie das Schwurgericht im Falle des Beschwerdeführers vorgenommen habe, stehe - im Gegensatz zur Auffassung des Bundesgerichtshofs - mit dem einfachen Recht in Einklang und sei von Verfassungs wegen geboten.
Das angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs verstosse im übrigen auch gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (Art.101 Abs.1 Satz 2 GG). Das Revisionsgericht sei nicht befugt, die lebenslange Freiheitsstrafe selbst auszusprechen. Die Verhängung dieser Strafe im Einzelfall sei schon aus verfassungsrechtlichen Gründen von den jeweils gegebenen tatsächlichen Verhältnissen abhängig, so dass von einer absoluten Strafandrohung im Sinne des §354 Abs.1 StPO nicht mehr gesprochen werden könne.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs verletze ausserdem den Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung des rechtlichen Gehörs nach Art.103 Abs.1 GG. Er habe für die Reise zur Revisionshauptverhandlung nicht die erforderlichen Mittel gehabt; schon wegen der Unbestimmtheit des §211 StGB hätte er jedoch persönlich gehört werden müssen.
III. « Stellungnahme des Bundesjustizministers »
Der Bundesminister der Justiz hat sich wie folgt geäussert:
Die Verfassungsbeschwerde sei nicht begründet. Das Bundesverfassungsgericht könne gerichtliche Entscheidungen nur in engen Grenzen überprüfen. Die Auslegung der Gesetze und deren Anwendung auf den konkreten Fall könnten nur daraufhin überprüft werden, ob das jeweilige Gericht bei seiner Entscheidung spezifisches Verfassungsrecht verletzt habe. Einen solchen Verfassungsverstoss lasse das angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs nicht erkennen. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass der Bundesgerichtshof bei der Anwendung des Mordtatbestandes auf die vom Schwurgericht festgestellten Taten des Beschwerdeführers unter Verkennung der vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 21.Juni 1977 (BVerfGE 45, 187) für die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe gezogenen Grenzen zu einer schuldunangemessenen Strafe gelangt wäre.
Angesichts der Beschränkung des Mordtatbestandes auf besonders schwere und verwerfliche Tötungshandlungen bedürfe es, auch unter Berücksichtigung der im Strafgesetzbuch vorgesehenen Möglichkeiten zur Strafmilderung, nicht des vom Schwurgericht entwickelten besonderen Schuldmilderungsgrundes der Verstrickung in das NS-Unrechtssystem. Für einen solchen Schuldmilderungsgrund sei im geltenden Strafrechtssystem kein Raum. Der Gesetzgeber habe