Justiz und NS-Verbrechen Bd.XL

Verfahren Nr.813 - 830 (1974 - 1976)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.830c BVerfG 16.04.1980 JuNSV Bd.XL S.869

 

Lfd.Nr.830c    BVerfG    16.04.1980    JuNSV Bd.XL S.869

 

1 BvR 505/78

 

Im Namen des Volkes

 

 

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

 

des Herrn Wilhelm Eickhoff, Minden-Haddenhausen,

 

gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23.Februar 1978 - 4 StR 660/77 -

 

hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - am 16.April 1980 beschlossen:

 

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

 

 

GRÜNDE

 

A. « Die Verfassungsbeschwerde »

 

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage der Schuldangemessenheit und Verhältnismässigkeit der gegen den Beschwerdeführer wegen Mordes verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe.

 

I. « Verfahrensgeschichte »

 

1. Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Hamburg verurteilte den Beschwerdeführer wegen Mordes an mindestens fünfzig Menschen zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren; ausserdem erkannte sie ihm für die Dauer von 5 Jahren die Fähigkeit ab, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen.

 

Nach den Feststellungen des Schwurgerichts wurde der 1921 geborene Beschwerdeführer im Frühjahr 1942 - damals Unterscharführer bei der Waffen-SS - zu der Lagermannschaft eines Judenlagers bei Bobruisk/Weissruthenien kommandiert. Den Juden wurde im Lager ein grauenvolles Schicksal zuteil. Sie litten unter Hunger und eisiger Kälte, mussten bis zur Erschöpfung arbeiten und waren der Willkür und den Quälereien des Lagerpersonals ausgeliefert. Innerhalb von 12 bis 15 Monaten kamen fast alle 1400-1500 in das Lager eingelieferten Juden um; nur wenige robuste Männer überlebten.

 

Die Oberaufsicht über das Lager übten ein Hauptsturmführer und ein Obersturmführer aus, welche der Lagermannschaft generelle Anweisungen gaben. Intern leitete der Beschwerdeführer das Lager. Er erschien für die jüdischen Häftlinge schlechthin als "der Lagerführer". Er liess arbeitsunfähige und untaugliche Juden aus dem Lager entfernen. Die Erschiessung der Kranken und Schwachen wurde in einem vom Judenlager etwas abseits liegenden Wäldchen vorgenommen. Dort hatten die Juden schon kurz nach ihrer Ankunft Massengräber ausheben müssen. Vor ihrer Exekution wurden sie zu diesem Platz geschafft, sie mussten sich entkleiden und sich mit dem Gesicht nach unten in die schon mit anderen Toten gefüllte Grube legen; wer dazu zu schwach war, wurde von Totengräbern in die Grube gebracht. Durch Schüsse des am Grubenrand stehenden Exekutionskommandos wurden die Opfer getötet. Derartige Tötungsaktionen fanden in zahlreichen Fällen statt. Der Beschwerdeführer ging wiederholt selbst mit und leitete solche Aktionen; in anderen Fällen bestimmte er den Aufsichtführenden. In einer nicht mehr feststellbaren Anzahl von Fällen beteiligte er sich selbst an der Erschiessung. Wie gross die Zahl seiner Opfer war, konnte das Schwurgericht