Justiz und NS-Verbrechen Bd.XL

Verfahren Nr.813 - 830 (1974 - 1976)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.830b BGH 23.02.1978 JuNSV Bd.XL S.865

 

Lfd.Nr.830b    BGH    23.02.1978    JuNSV Bd.XL S.868

 

des Bundesgerichtshofs. Der 5. Strafsenat hat hierzu in seinem Urteil vom 15.Juli 1969 - 5 StR 704/68, teilweise abgedruckt in BGHSt. 23, 39, ausgeführt:

 

"Der Senat verkennt nicht, dass die Massenmorde durch staatliche Gewalt eine unerhörte Neuheit in der Geschichte waren, auf die das Strafgesetzbuch nicht zugeschnitten war. Es ist richtig, dass dem §211 StGB die Vorstellung von einem Mörder zugrunde liegt, der nicht nur gegen sein Gewissen, sondern auch bewusst gegen die Anschauungen seiner Umwelt handelt und vor allem weiss, dass die Staatsgewalt ihn bestraft, wenn sie seiner habhaft wird. Jedenfalls die zuletzt genannte Hemmung war dadurch beseitigt, dass dem Angeklagten und vielen anderen SS-Männern und Polizeibeamten der Mord befohlen war. ... Es trifft zu, dass für solche aussergewöhnlichen, früher unvorstellbaren Verhältnisse die §§47, 49, 52 und 54 StGB und §47 MStGB nicht gedacht waren und dass es darum oft schwierig ist, Taten, die aus jener Verstrickung in einen brutalen Machtapparat folgten, mit den Mitteln und Begriffen des geltenden Strafrechts gerecht zu werden. Bei deren Anwendung und innerhalb der durch sie gezogenen Grenzen sind zwar jene aussergewöhnlichen Umstände zu berücksichtigen. Die Gerichte sind aber nicht berechtigt, die Strafgesetze für Taten dieser Art in freier Rechtsschöpfung umzugestalten" (UA S.4, 5 448).

 

Dem tritt der erkennende Senat bei. Auch sonst hat der Bundesgerichtshof - soweit ersichtlich - die Verstrickung in ein System der Gewaltherrschaft niemals als eigenständigen Strafmilderungsgrund anerkannt. Daran ist festzuhalten.

 

Die eingehenden Erwägungen des Schwurgerichts vermögen demgegenüber nicht zu überzeugen (vgl. auch Schönke/Schröder StGB 19.Aufl. Rdn.126a vor §32). Einen derart schwerwiegenden Eingriff in das Gefüge unseres Strafrechts, wie ihn das Schwurgericht vertreten will, kann lediglich der Gesetzgeber vornehmen. Die vom Schwurgericht zur Strafmilderung herangezogenen Gesichtspunkte können nur im Gnadenwege berücksichtigt werden.

 

Der Senat erkennt aus diesen Gründen gegen den Angeklagten auf die sich aus dem Schuldspruch wegen Mordes zwingend ergebende lebenslange Freiheitsstrafe (§§211 StGB, 354 Abs.1 StPO).

 

 

448 Siehe JuNSV Bd.XXVII S.125 (Lfd.Nr.662b).