Justiz und NS-Verbrechen Bd.XL

Verfahren Nr.813 - 830 (1974 - 1976)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.830b BGH 23.02.1978 JuNSV Bd.XL S.865

 

Lfd.Nr.830b    BGH    23.02.1978    JuNSV Bd.XL S.867

 

Geht dann zur Wachmannschaft und sagt Bescheid; die erledigen das dann." Mit zutreffenden Erwägungen hat das Schwurgericht im einzelnen dargelegt, dass die allgemeinen Anweisungen der Vorgesetzten des Angeklagten keinen Befehl zu Tötungen enthielten. Diese wurden vielmehr vom Angeklagten "nach eigenem Ermessen und Gutdünken" angeordnet und durchgeführt, nachdem er in eigener Zuständigkeit die Auswahl der Opfer getroffen hatte. Er nahm die Befugnis für sich in Anspruch, "über Leben und Tod nach eigener Macht und persönlichem Ermessen" zu entscheiden, "ohne jemandes Bestätigung oder Anweisung" und "ohne dabei irgendwelchen Kontrollen durch Vorgesetzte zu unterliegen" (UA S.65 447).

 

Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sind auch die Feststellungen des Schwurgerichts über die Anzahl der Selektionen, der Erschiessungsaktionen und die Zahl der Opfer der jeweiligen Gruppe. Auf Grund einer eingehenden Beweiswürdigung ist das Tatgericht unter weitgehender Berücksichtigung der Einlassung des Angeklagten zu Mindestfeststellungen gelangt, die den Schuldumfang im einzelnen eindeutig festlegen. Von einer Verkennung des Begriffs der Tat im Sinne von §264 StPO kann keine Rede sein.

 

Ob die Annahme einer einzigen Handlung gerechtfertigt ist, kann dahinstehen. Ein möglicher Fehler würde den Angeklagten hier jedenfalls nicht beschweren. Die Auffassung der Revision, bei Annahme von Tatmehrheit hätte der Angeklagte freigesprochen werden müssen, ist bei den getroffenen Feststellungen offensichtlich unbegründet.

 

II. Die Revision der Staatsanwaltschaft

 

Das Rechtsmittel ist begründet. Die Staatsanwaltschaft wendet sich zu Recht dagegen, dass das Schwurgericht den Angeklagten anstelle der im Gesetz allein vorgesehenen lebenslangen zu einer zeitigen Freiheitsstrafe verurteilt hat.

 

Die Verfassungsmässigkeit der absoluten Strafe des §211 StGB kann nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21.Juni 1977 (NJW 1977, 1525) nicht mehr bezweifelt werden. Gesetzlich anerkannte Strafmilderungsgründe sind nicht gegeben. Die Unterschreitung der allein angedrohten Strafe aus dem Gesichtspunkt der "Schuldmilderung wegen Verstrickung" ist nicht zu rechtfertigen.

 

Ob die Feststellungen des Schwurgerichts überhaupt zu einer Milderung der Strafe drängen, mag dahinstehen. Immerhin hat der Angeklagte eine einmalige "allgemeine Richtlinie" zum Anlass genommen, zahlreiche Insassen des ihm unterstellten Arbeitslagers zu töten. Er wählte die Opfer nach unbestimmten Massstäben aus, liess sie in grausamer Weise umbringen, stand an der Grube, in die sich die Opfer auf zuvor Erschossene legen mussten, und schoss selbst mit. Im Lager selbst geschah ein "Übermass an Verbrechen". Das Schwurgericht stellt weiter fest, dass die Opfer für ihn "wertloses Material" waren, "benutzbar wie Sachen, aber keine Menschen". Mildernd will das Schwurgericht letztlich lediglich berücksichtigen, dass es dem damals noch jungen Angeklagten in seiner Umgebung leicht gemacht worden sei, sich für das Unrecht zu entscheiden. Solche Erwägungen könnten indessen nicht auf die Verstrickung in das NS-Unrechtssystem beschränkt bleiben. Auch andere Angehörige von Gewalt verherrlichenden und ausübenden Gruppen könnten sich darauf berufen, dass in ihren Kreisen eine Gewalttat dieser Art gebilligt werde. Der eindeutige Wille des Gesetzes steht der Annahme einer Strafmilderung aus derartigen Erwägungen entgegen. Die Strafandrohung wegen Mordes kennt keinen minder schweren Fall. Liegt einer der gesetzlichen Milderungsgründe nicht vor, ermöglichen auch sonstige Strafmilderungsgründe kein Absehen von der allein angedrohten lebenslangen Freiheitsstrafe. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung

 

447 = Seite 843 dieses Bandes.