Justiz und NS-Verbrechen Bd.XL

Verfahren Nr.813 - 830 (1974 - 1976)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.830a LG Hamburg 09.03.1976 JuNSV Bd.XL S.823

 

Lfd.Nr.830a    LG Hamburg    09.03.1976    JuNSV Bd.XL S.863

 

könnten und "von Tätern dieser Art ... in der Regel nur das Schlimmste zu erwarten sei" (Klug a.a.O. 152 1.Sp. oben), liegt eine allgemein unzutreffende Situationsanalyse zugrunde: Sie überschätzt den individuellen Entschluss- und Handlungsspielraum der Täter, verkennt die ihnen vorgegebenen strukturellen Bedingungen, rückt - kriminologisch verfehlt - den Mörder sadistischen Typs in den Vordergrund und kann der verharmlosenden Meinung Vorschub leisten, Verbrechen unter staatlicher Diktatur seien die Summe und das Resultat krimineller Individualentscheidungen auf unterer Ebene, was den Blick ablenkt vom Bereich ungleich wichtigerer, weil sie erst bedingender Vorentscheidungen anderer.

 

Wenngleich viele Gründe für eine Milderung der Strafe sprechen, standen für das Schwurgericht Grösse und Ausmass der Verbrechen im Vordergrund. Die Schuldmilderung bewirkt, dass überhaupt statt lebenslanger eine zeitige Strafe verhängt wird. Viel weiter darf sie - auch bei Würdigung der Tatsache, dass hier erst 33 Jahre nach den Taten ein sonst unbescholtener, offensichtlich strafempfindlicher, sozial fest eingeordneter Mann vor dem Richter steht - nicht ins Gewicht fallen.

 

Deshalb hat das Gericht auf eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren erkannt. Darauf ist die verbüsste Untersuchungshaft gemäss §51 (1) 1 StGB angerechnet worden.

 

II. Der Angeklagte Aig.

 

Der Strafrahmen für Beihilfe zum Mord beträgt grundsätzlich 3-15 Jahre (§§211, 27 (2), 49 (1) 1 StGB). Hier tritt indessen eine weitere Milderungsmöglichkeit hinzu, von welcher das Gericht Gebrauch macht: Sie bewirkt (§§49 I Ziff.2 und Ziff.3 Nr.3 StGB), dass Höchst- und Mindestmass der Strafe, wie eingangs beziffert, sinken. Sachlich liegt der Milderungsgrund in einem Verbotsirrtum, dessen Vorliegen wahrscheinlich ist, zumindest nicht ausgeschlossen werden kann: Zwar nicht über das Unrecht aber die Verbindlichkeit des Befehls, durch den er zur Exekution beordert und dort weiterhin angewiesen worden ist. Da dieser Irrtum angesichts aller Umstände des Massakers vermeidbar war, schliesst er die Schuld nicht aus, mindert sie aber (vgl. BGHSt. 22/223-226).

 

Zur Strafzumessung liesse sich nur wiederholen, was vorhin gesagt worden ist.

 

Das Schwurgericht konnte keine Strafe aussprechen, die am unteren Rande des Strafmasses liegt: Wenn schon das Tatunrecht als so schwer bewertet werden muss, dass Strafe unerlässlich ist, dann kann ihre Grösse nicht ausser Verhältnis treten zum objektiven Grad des Verbrechens. Deshalb ist auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren erkannt worden. Sie konnte gemäss §56 II StGB zur Bewährung ausgesetzt werden - wegen der allgemeinen Tatbedingungen, von denen hier immer wieder die Rede war, und mit Rücksicht auf die Person des Angeklagten - eines sonst unbescholtenen, soliden Mannes -, die den Vollstreckungsverzicht unbedenklich erlaubt. Besondere Umstände der konkreten Tat liegen in der als strikt empfundenen Bindung an die Befehle des an Ort und Stelle befindlichen Vorgesetzten. Der Fall liegt in tatsächlicher Hinsicht wesentlich anders als der in BGH 5 StR 103/71 440 abgehandelte (12.10.1971).

 

Das Urteil, soweit es den Angeklagten Aig. betrifft, ist in seinem praktischen Sinn darauf beschränkt, das Verbrechen zu benennen, Schuld festzustellen und dadurch die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung in ihren tragenden Prinzipien zu bestätigen.

 

440 Siehe Lfd.Nr.727b.