Justiz und NS-Verbrechen Bd.XL

Verfahren Nr.813 - 830 (1974 - 1976)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.830a LG Hamburg 09.03.1976 JuNSV Bd.XL S.823

 

Lfd.Nr.830a    LG Hamburg    09.03.1976    JuNSV Bd.XL S.862

 

Leute" eingrenzen, sondern tendenziell liegt das schon in der Natur des juristischen Werkzeugs, welches nicht dazu taugt, jemandes Mithaftung für die geistige Perversion von Staat und Gesellschaft einzuklagen. Wenn das aber so ist, kann nur bei einer behutsam-differenzierenden Anwendung dieses Instrumentariums das Gerechtigkeitsgebot unverletzt bleiben.

 

Alles über Verstrickung bereits Gesagte gilt deshalb auch für Eickhoff, und da er sehr jung war, in besonderer Zuspitzung. Seiner Jugend wegen würde dem Gericht kraft Gesetzes ein Strafrahmen von 10-15 Jahren zugestanden haben, wenn er nur ein halbes Jahr später geboren worden wäre (§§106 (1), 105 (2) JGG, 2 III StGB), sofern nicht überhaupt gem. §105 JGG nach Jugendstrafrecht hätte verfahren werden müssen; eine angesichts der Taten gewiss absonderliche Vorstellung. Jedenfalls muss der Umstand, dass der Täter hier hart diesseits vom Geltungsbereich des JGG steht, in die allgemeine Schuldbewertung einbezogen werden:

 

Wenn die Rechtsordnung den Jugendlichen stets und den Heranwachsenden als möglicherweise unfertige Persönlichkeit betrachtet und ihre Verantwortlichkeit daher abweichend vom allgemeinen Strafrecht regelt, so kann der Tatsache, dass im vorliegenden Fall ein junger Mensch frühzeitig in die Hände der SS gekommen, von ihr erzogen, verbogen und missbraucht worden ist, kaum überschätzt werden: Kann der junge Mensch in der rechtsstaatlichen Gemeinschaft trotz ihrer gewissensorientierenden Grundstruktur gefährdet und in seinen Verhaltensmöglichkeiten geschwächt sein, so war er unter der Naziherrschaft - vom Verbrecherstaat zu Verbrechen abgerichtet - geradezu verloren.

 

Das Schwurgericht hat deshalb entschieden, die geminderte Schuld Eickhoffs in eine Strafmilderung umzusetzen.

 

2.) Bemessung der Strafe

 

Die Strafe war zu bestimmen innerhalb eines Rahmens von 3 bis 15 Jahren (§§211, 17 S.2 analog, 49 I, 38 II StGB.

 

Grundlage der Strafzumessung ist die Schuld des Angeklagten (§46 I StGB) - nicht in dem engen Sinne eines Masses der Vermeidbarkeit des Unrechts, sondern als Tatschuld, für welche die Grösse des Verbrechens schwer in die Waagschale fällt. Die Strafe dient der Verteidigung der Rechtsordnung in ihren Grundprinzipien: Mord ist durch Richterspruch als Mord zu benennen; die unbedingte Geltung der Norm, die das schwerste Verbrechen des StGB sanktioniert, wird in der Bestrafung des Angeklagten sichtbar bekräftigt. Das ist der Vollzug des Grundsatzes von Schuld und Sühne: Es ist zu strafen, weil ein aussergewöhnlich schweres Unrecht das verlangt, auch nach Ablauf einer Frist von 33 Jahren. Darin wird die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung bestätigt, so dass der Strafe - in einem weiten Sinne - zugleich ein generalpräventiver Zweck innewohnt. Im übrigen sprechen sog. rationale Strafzwecke und -zumessungsgründe, die für die aktuelle, zumal die Alltagskriminalität zunehmend in den Vordergrund rücken, für eine milde - oder überhaupt gegen jegliche - Strafe:

 

Der Angeklagte bedarf keiner Resozialisierung - er ist in seiner Familie verwurzelt, lebt und sorgt nur für sie, ist ein geachteter Mann - beginnend mit dem Jahre 1946 liegen dem Gericht zahlreiche überzeugende Leumundszeugnisse vor -; er wird durch die Vollstreckung der Strafe nicht sozial eingeordnet, sondern allenfalls entsozialisiert werden. Das ist der gerechten Schuldvergeltung wegen hinzunehmen. Abgeschreckt vom Verbrechen - d.h.: von ähnlichen Verbrechen unter Bedingungen totalitärer Perversion - wird durch diese und ähnliche Bestrafungen keiner: Die Umstände der Tat sind vergangen und Geschichte geworden (a.A. Klug in JZ 1965, 149-153 (Ziff.VIII, S.151/152)).

 

Der These, die Bestrafung der NS-Verbrechen sei aus Gründen der Individualprävention erforderlich, weil diese Täter bei einem Umschlagen der politischen Lage rückfällig werden