Justiz und NS-Verbrechen Bd.XL

Verfahren Nr.813 - 830 (1974 - 1976)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.830a LG Hamburg 09.03.1976 JuNSV Bd.XL S.823

 

Lfd.Nr.830a    LG Hamburg    09.03.1976    JuNSV Bd.XL S.859

 

Die Realität hat dieser perversen Logik nie ganz entsprochen, die den SS-Mann aufteilte in eine dienstliche und eine private Hälfte und die Verantwortung für den Exzess ins Persönliche schob, etwa mit den pathetischen Worten des Obersten SS- und Polizeigerichts:

"... Es ist nicht deutsche Art, bei der notwendigen Vernichtung des schlimmsten Feindes unseres Volkes (scil.: der Juden) bolschewistische Methoden anzuwenden ..."

(Sache Täubner, Oberstes SSuPolG, Feldurteil vom 9.6.1943, StL 29/42, S.8. im Auszug zit. Buchheim, Anatomie I S.319; vgl. weiter: Höhne S.355; zur Posener Rede Himmlers: Buchheim, Anatomie I S.295-297).

 

Demgegenüber scheint der Mensch, gerade wenn er einigermassen normal veranlagt ist, keineswegs imstande zu sein, eine so unüberbietbar anti-menschliche Aufgabe, wie die Vertilgung einer Rasse, gewissermassen "in anständigen Formen" zu erledigen. Alle einschlägigen Forschungsergebnisse und die allgemeinkundigen Erfahrungen der NSG-Prozesse sprechen dagegen: Ob Aussiedlungen oder Exekutionen - es ging stets grauenhaft zu. Dann aber wird man sagen müssen, dass schon im Verbrechensbefehl immer ein gewisses Mass auch an Grauenhaftem, an "Exzess" mitangelegt war, dass überhaupt die heutige Übernahme dieses Begriffs zu anderen Zwecken (vgl. Jäger a.a.O. S.227 Ziff.f am Ende) nur mit Vorsicht erlaubt ist, weil er den einflussreichen Distanztäter (Eichmann: "Wir hatten mit keinerlei Greuel etwas zu tun, sondern haben unsere Arbeit auf anständige Weise bearbeitet", zit. bei Jäger a.a.O. 292) tendenziell entlastet (Jäger a.a.O. 290 ff.) und als zu grobe Kategorie beim Täter "vor Ort" (Höss: "Die böswilligen, bösartigen, grundschlechten, rohen, niederträchtigen, gemeinen Naturen ...", dtv a.a.O. S.60) nicht zu den erforderlichen Differenzierungen führt. Eickhoff hätte der Suggestion zum Exzess genauso widerstehen müssen wie dem Befehl Söldners überhaupt; aber auch hier kann man - dem ersten Augenschein entgegen - nicht alles ohne jeden Abstrich auf dem Konto seiner persönlichen Schuld verbuchen.

 

Wie ist das Mass von Eickhoffs exzessivem Verhalten dem sachlichen Umfang nach einzuschätzen?

 

Die meisten der überlebenden Juden sahen in ihm einen Unmenschen und Mörder: Das Lager war die Hölle, er der Leiter und mithin verantwortlich. Dabei sind aber einige Differenzierungen immer wieder hervorgetreten:

 

Am weitesten zu Eickhoffs Gunsten geht Adam He.: Er sei mit den Juden vernünftig umgegangen und habe sie mit "Sie" angeredet. Obwohl ständig mit einer Peitsche bewaffnet, habe er - soweit ersichtlich - doch nicht geschlagen. Es habe Mörder und Sadisten gegeben. Eickhoff habe nicht dazugehört. Das ist aber mit Vorsicht aufzunehmen: Der Zeuge war jüdischer Lagerältester und hat wahrscheinlich anlässlich der konsularischen Vernehmung seine persönlichen Probleme mit aufarbeiten müssen. Allerdings: Dass Eickhoff nicht zum Abschaum des Lagers gehört hat, sagen auch andere, zuverlässige Zeugen. Tug. meint, Eickhoff sei keineswegs der Schlechtesten einer gewesen, nach Gil. war er zwar schlimm genug, habe aber nicht zu den Schlimmsten gehört; Borenstein formuliert ganz ähnlich; andere Zeugen werten ebenso.

 

Diese Differenzierung ist deshalb durchaus plausibel, weil nahezu alle Juden weit vor Eickhoff einen SS-Mann nennen, der Klima und Stil des Lagers offenbar stärker und schlimmer geprägt hat als der - nach manchen Berichten eher blässliche - Angeklagte: Der SS-Mann Loyen, der die Häftlinge sadistisch gequält und viele auf eigene Faust ertränkt, stranguliert und erschossen hat. Auch Adolf Riemer zeichnete sich durch Brutalität und Härte aus und steht darin mit Abstand vor Eickhoff. Für W., einen ruhigen Zeugen und guten Beobachter, war Loyen eine Bestie und Riemer ein Sadist. Tug., USA, dessen Zeugnis dem Schwurgericht besonders interessant war, weil er noch nie vorvernommen worden ist, hat dem Gericht