Justiz und NS-Verbrechen Bd.XL

Verfahren Nr.813 - 830 (1974 - 1976)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.830a LG Hamburg 09.03.1976 JuNSV Bd.XL S.823

 

Lfd.Nr.830a    LG Hamburg    09.03.1976    JuNSV Bd.XL S.857

 

II. Zu Aig.

 

Der Angeklagte Aig. hat befehlsgemäss ein Exekutionskommando geleitet, das mindestens 50 Juden erschossen hat (s. oben A.II.3).

 

1. Die Exekution war Mord. Die entsprechenden Rechtsausführungen zu Eickhoff gelten auch hier.

 

2. Aig. war Gehilfe - nicht Täter. Anders als Eickhoff hat er auf strikten Befehl gehandelt, der ihm kein eigenes Entscheidungsermessen beliess. Er hat sich - auch innerlich - fremden Tatentschluss unterworfen, dem er in lediglich untergeordneter Ausführung dienen wollte. Durch den Einsatz seiner Leute hat der Angeklagte das Mordgeschehen gefördert, als dessen Täter der Kommandeur und unbestimmte höhere SS-Führer in Betracht kommen.

 

3. Der Befehl kann Aig. nicht entschuldigen. Allerdings liegen Schuld und Verantwortung beim Befehlsgeber allein, wenn der gehorchende Untergebene verkannt hat, dass die angesonnene Tat ein Verbrechen war (§47 (1) MStGB). So liegt es hier aber nicht: Aig. kann die massenhafte Tötung ersichtlich unschuldiger Opfer, ohne Urteil oder Standgericht, unmöglich für rechtens gehalten haben und hat es nicht getan.

 

Auch Notstand kommt als Entschuldigungsgrund nicht in Betracht. Aig. war ein Mann unbedingten Gehorsams und absoluter Disziplin. Diese Haltung verlangte er mit aller Härte von den Arbeitsschützen wie manche Zeugen - teils mit dem Unterton der Anerkennung, teils mit Verachtung und Hass - glaubhaft angemerkt haben. So war er auch selbst gesonnen: Befehl war Befehl und schlechthin verbindlich. Folglich fehlen schon alle subjektiven Notstandsvoraussetzungen.

 

Der Angeklagte war deshalb wegen Beihilfe zum Mord zu verurteilen.

 

Davon glaubt das Schwurgericht nicht etwa nach §47 (2) MStGB absehen zu dürfen, denn unbeschadet der Frage, wie schwer die Schuld des Angeklagten wiegt, ist das Tatunrecht zu gross.

 

C. Strafzumessung

 

I. Der Angeklagte Eickhoff

 

1.) Voraussetzungen einer Strafmilderung im vorliegenden Falle

 

Aus der grundsätzlichen Anerkennung des Schuldmilderungsgrundes der Verstrickung folgt noch nicht ohne weiteres, dass die Strafe des Angeklagten Eickhoff zeitlich zu begrenzen war.

 

a) Die Voraussetzungen des Milderungsgrundes treffen für seine Situation allerdings zu: Anlass und Rahmen seiner Straftaten in Bobruisk waren ihm durch Planungen und Befehle der Führung vorgegeben, ihren Absichten und ihrem Willen hatte er sich unterworfen. Er gehörte nicht in die Kategorie der Drahtzieher, Planer, Organisatoren, Kommandeure oder Führer, die mehr als Repräsentanten der verbrecherischen Entscheidungszentrale denn als Unterworfene zu gelten hätten. Seine Straftaten waren auch nicht Ausdruck primärer krimineller Antriebe und Neigungen, die sich in den plötzlich geschaffenen sanktionslosen Freiräumen ungehemmt entfaltet hätten. Die Strafe des Angeklagten konnte deshalb gemildert werden.