Justiz und NS-Verbrechen Bd.XL

Verfahren Nr.813 - 830 (1974 - 1976)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.830a LG Hamburg 09.03.1976 JuNSV Bd.XL S.823

 

Lfd.Nr.830a    LG Hamburg    09.03.1976    JuNSV Bd.XL S.844

 

führen - nach den Grundsätzen zwar, die ihm von oben übermittelt und vorgeschrieben worden waren. Aber darin lag die Übernahme zunächst fremden Willens in die eigene Handlungsdisposition und Entscheidungsbereitschaft. Deshalb muss der Angeklagte auch nach der "subjektiven" - im einzelnen durchaus uneinheitlichen - Rechtsprechung als Täter angesehen werden (vgl. BGHSt. Bd.8, 393 ff. (396); 5 StR 433/63; Bd.18, 87 ff. (94 u. pss); auch BGH 3 StR 17/68 v. 30.6.1970 Ziff.C 433; vgl. die Zusammenfassung in der "Königsteiner Entschliessung": "Probleme der Verfolgung und Ahndung von NSG", C.H. Beck 1967 S. C 9 und C 22).

 

3. Fragen des Schuldausschlusses

 

Es gibt keine Umstände, die Eickhoffs Tatschuld ausschliessen.

 

Ein Ausschluss nach dem Militärstrafgesetzbuch kommt schon deshalb nicht in Frage, weil Söldners Anweisung kein Befehl in Dienstsachen war. Dieser wird dadurch definiert, dass er eine genau bestimmte Handlung oder Unterlassung gebietet; er zielt auf exakten Gehorsam, ohne dem Befehlsempfänger einen Raum für eigenes Ermessen zu belassen (vgl. BGH 1 StR 321/56, S.20 434 mit Nachw.).

 

Der Angeklagte wird auch nicht durch Notstand oder Putativnotstand entschuldigt (§§52, 54 a.F. 35 n.F. StGB). Da er nicht auf konkreten Befehl sondern selbständig im Rahmen allgemeiner Anweisung handelte, beruhten die einzelnen Taten nicht jeweils auf Druck, Drohung oder Zwang; sie sind ihm nicht abgenötigt worden. Dem entspricht der Mangel im subjektiven Tatbestand: Er hatte gar nicht die Absicht, die Tötungen zu verhindern, zu umgehen oder zu vermeiden. Ihm war eine Aufgabe gestellt worden, und die wollte er im Sinne der Vorgesetzten erfüllen: Ein SS-Mann hatte den Willen der Führung zu vollziehen - bedingungslos -, nicht auf Auswege zu sinnen.

 

Das führt auf die Frage, ob dem Angeklagten das Unrechtsbewusstsein gefehlt hat (§17 StGB). Dafür liesse sich anführen, dass er sicher war und sein durfte, den Willen und die Absichten der Führung von Volk und Staat zu vollstrecken. Mag er auch keine Neigung zur Theorie gehabt haben - den Satz "Recht ist, was dem deutschen Volke nützt", kannte jedermann, und dass der Nutzen des Volkes von einer anderen Instanz als dem Führer hätte definiert werden können, muss einem jungen Unterscharführer im Jahre 1942 als denkunmöglich erschienen sein.

 

Trotzdem hat der Angeklagte gewusst, dass seine Handlungen Unrecht waren - Unrecht in dem engen Sinne, wie das Gesetz den Begriff verwendet. Das folgt nicht so sehr daraus, dass Eickhoff selbst sich dahin eingelassen hat, er habe die Tötungen für Unrecht gehalten. Die Frage nach der Unrechtserkenntnis war schliesslich prekär: Wollte er die Exekutionen für rechtmässig gehalten haben, verschaffte er dem Gericht leicht Überzeugungselemente für die Annahme niedriger Beweggründe und Täterwillens; aber andernfalls riskierte er, den Einwand mangelnder Unrechtskenntnis sich selbst abzuschneiden. Wichtiger ist deshalb folgendes: Man wird unterscheiden müssen zwischen ideologischer Überzeugung - z.B. von der "geschichtlichen Berufung" der SS, der inneren Verpflichtung auf zukünftige rassische Ordnungen, der "tieferen Notwendigkeit", die Juden bis zum letzten Kind auszurotten, der Belanglosigkeit aller gegenwärtigen Ordnung - und dem Bewusstsein, dass eine Handlung verträglich sei oder unverträglich mit der Rechtsordnung.

 

433 Siehe JuNSV Bd.XXII S.236 (Lfd.Nr.596b).

434 Siehe JuNSV Bd.XIII S.574 f. (Lfd.Nr.427b).