Justiz und NS-Verbrechen Bd.XL

Verfahren Nr.813 - 830 (1974 - 1976)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.830a LG Hamburg 09.03.1976 JuNSV Bd.XL S.823

 

Lfd.Nr.830a    LG Hamburg    09.03.1976    JuNSV Bd.XL S.843

 

wie in der Beweisaufnahme zuweilen drastisch unterstrichen worden ist, aber sie waren Menschen, die sogar die Chance hatten, durch "Bewährung" wieder in die oberste Kategorie aufzurücken. Die Fremdvölkischen und "Hilfswilligen" rangierten wahrscheinlich unter den Arbeitsschützen (Straffälligen). Aber soviel steht fest, dass die Juden tief unter allen standen. So kam vielen Zeugen, die nicht die Seite der Häftlinge repräsentierten, noch jetzt wieder die Empörung darüber an, dass der Kommandant Pannier zwei oder mehrere degradierte SS-Männer ohne ausreichende Berechtigung oder korrektes Verfahren hatte erschiessen lassen, während viele von ihnen über die Judenmorde kaum ein Wort verloren.

 

Eickhoff wird Auffassung und Urteil seines Milieus geteilt haben, wie wahrscheinlich fast alle SS-Unterführer, -Führer und -Männer in Bobruisk. Die Juden galten ihnen als wertlose Rasse, Feinde der besseren Menschheit, waren schuld am Krieg und die Verderber des deutschen Volkes. Das stand in jeder Zeitung, tönte aus jedem Volksempfänger und wurde den SS-Männern bis ins Unterbewusste eintrainiert. Man wird Eickhoff glauben können, dass er keinen persönlichen Hass auf Juden hegte, dass er ein besonderes Interesse für das "Judenproblem" nie entwickelt hatte und angesichts der Exekutionen sogar von dem Bewusstsein befallen worden war, sie seien nicht rechtens. Aber das hindert, der massgeblichen Rechtsprechung zufolge, die Feststellung niedriger Beweggründe nicht: Wer die anerzogene und fremdgeprägte Einstellung rassischer Verachtung übernimmt, wenn auch ohne einen Zusatz persönlichen Judenhasses oder eigener Motive, und diese Einstellung - wie der Angeklagte - umsetzt in die grausame und entwürdigende Behandlung und Tötung einer anderen Menschengruppe, offenbart niedrige Beweggründe. So hat der BGH stets entschieden (BGHSt. 18, 37 ff. (39); 2 StR 455/55 S.2/3 431; 1 StR 37/64 S.4 432; - vgl. dazu Hanack "Zur Problematik der gerechten Bestrafung nationalsozialistischer Gewaltverbrecher", Sonderdruck Tübingen 1967 S.10-19 (insb. 15/18).

 

2. Täterschaft

 

Eickhoff ist Täter, nicht lediglich Gehilfe. Er hat die festgestellten Straftaten teils selbst, überwiegend durch andere begangen. Er hat die Opfer bestimmt, die Exekutionen nach eigenem Ermessen und Gutdünken angeordnet und sie durchführen lassen, wann er wollte. Das erfüllt die Voraussetzungen des §25 StGB (in Verbindung mit §211), der die Täterschaft definiert. Auch wenn man - einer teils stärker, teils schwächer ausgeprägten Tendenz der überkommenen Rechtsprechung folgend - rein "subjektiv" zwischen Täterschaft und Beihilfe abgrenzt, ändert dieses Ergebnis sich nicht:

 

Bei der Frage, ob Eickhoff die Taten "als eigene" gewollt hat, stösst man allerdings zunächst auf die Tatsache, dass er gewiss nichts anderes tat und tun wollte als das, was seine Vorgesetzten von ihm verlangten und erwarteten. Ihren Anspruch hatten der Hauptsturmführer Söldner ihm und der übrigen Mannschaft durch den Hinweis zu wissen gegeben: "Schafft euch die überflüssigen Juden vom Halse!" Aber das war kein Befehl, der Eickhoffs Rolle auf die eines blossen Gehilfen seiner Vorgesetzten zurückschnitt. Denn um deren Erwartungen zu erfüllen, musste er den Willen und die Ziele der Führung übernehmen, sie konkretisieren und ummünzen in eigene Entscheidung: Er hat die Opfer nach der allgemeinen und dehnbaren Maxime der Arbeitsunfähigkeit oder Krankheit selektiert, ohne dabei irgendwelchen Kontrollen durch Vorgesetzte zu unterliegen, hat über Leben und Tod allein nach eigener Macht und persönlichem Ermessen entschieden, ohne jemandes Bestätigung oder Anweisung. Darin tritt zutage, dass er die Tötungen im Rechtssinne als eigene gewollt hat: Er, der Lagerführer, wollte seinen Verantwortungs- und Herrschaftbereich einrichten, gestalten und

 

431 Siehe JuNSV Bd.XIII S.738 (Lfd.Nr.435c).

432 Siehe JuNSV Bd.XIX S.360 (Lfd.Nr.553b).