Justiz und NS-Verbrechen Bd.XL

Verfahren Nr.813 - 830 (1974 - 1976)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.830a LG Hamburg 09.03.1976 JuNSV Bd.XL S.823

 

Lfd.Nr.830a    LG Hamburg    09.03.1976    JuNSV Bd.XL S.840

 

Befehlen, Leute der Arbeitsabteilung einzusetzen hatten. An den Einsatzbesprechungen des Kommandeurs mit seinen Offizieren nahm Aig. nicht teil.

 

In dem Waldlager sind im Laufe der zweiten Hälfte des Jahres 1942 und der ersten Hälfte des Jahres 1943 mehrere Massenerschiessungen jüdischer Häftlinge durchgeführt worden, an denen die Arbeitsabteilung mitgewirkt hat. Dem Angeklagten Aig. ist vorgeworfen worden:

 

(1) Er habe wenige Tage nach Eintreffen des ersten Transportes im Juli 1942 zusammen mit den Angeschuldigten Kle. 428 und Eickhoff die vor ihnen angetretenen Juden befragt, wer von ihnen nach Warschau zurück wolle, und aus den sich Meldenden mindestens 100 Juden, darunter zahlreiche Jugendliche herausgesucht, um sie an einer Sandgrube in der Nähe eines ehemaligen Bombenlagers erschiessen zu lassen.

 

(2) Er habe eines Tages nach Eintreffen des zweiten Transportes aus Warschau im August 1942 mindestens 50 Juden an einer Sandgrube in der Nähe eines ehemaligen Bombenlagers erschiessen lassen.

 

(3) Er habe eines Tages zwischen Juli 1942 und September 1943 mit einem Kommando aus 8-10 freiwilligen Arbeitsschützen nach dem Mittagessen an innerhalb des Waldlagers hergestellten Gruben mindestens 60 Juden erschiessen lassen.

 

Hierzu hat der Angeklagte schliesslich, nachdem er zunächst während seiner Einlassung in der Hauptverhandlung erklärt hatte, von Judenerschiessungen nichts zu wissen, sich dahin eingelassen, dass er vom Kommandeur Martin dreimal aufgefordert worden sei, zur Absicherung von Erschiessungen von Juden zuverlässige und verschwiegene Leute abzustellen. Daraufhin habe er Freiwillige für diese Aufgabe eingeteilt, sie jedoch nicht begleitet. Er habe nur einmal eine Erschiessung von Juden aus etwa 400 m Entfernung mit angesehen, die von SS-Leuten durchgeführt worden sei. Er habe niemals die Aufsicht bei Exekutionen jüdischer Häftlinge geführt.

 

Hinsichtlich der Vorwürfe (1) und (2) der Anklage ist nicht erwiesen, dass der Angeklagte bei dem ersten und zweiten Transport vor den angetretenen Juden geredet und die Möglichkeit eröffnet hat, Kranke und Schwache oder gar Arbeitsunlustige könnten nach Warschau zurückkehren, um so die Häftlinge zu täuschen, da geplant war, die sich Meldenden anschliessend zu erschiessen:

 

Hinsichtlich des ersten Transportes stand als Belastungszeuge nur Ry. zur Verfügung. Er hat sich in der Hauptverhandlung - anders als in der Voruntersuchung - an den, der die Rede gehalten hat - der Vorfall selbst wird von den meisten anderen jüdischen Zeugen des ersten Transportes bestätigt -, nicht mehr erinnert, und er hat niemanden in der Lichtbildmappe mehr erkannt. Die Hauptverhandlung hat auch keine weiteren Hinweise auf die Beteiligung Aig.s bei diesem Tatkomplex ergeben. Hinsichtlich des zweiten Transportes ist es überhaupt unwahrscheinlich, dass auch derzeit eine dem Inhalt und Sinn entsprechende Rede gehalten worden ist, um Häftlinge auszusondern und später zu erschiessen. Lub., der einzige Zeuge, der insoweit den Angeklagten belastet hatte, hat sich in der Hauptverhandlung nicht mehr eindeutig festlegen wollen und den auf Bild 89 der Lichtbildmappe abgebildeten Angeklagten nur "möglicherweise" für den Hauptscharführer gehalten, der die Rede bei Ankunft des zweiten Transportes gehalten habe. Da der Angeklagte den übrigen Zeugen unbekannt ist, hat sich auch der zweite Vorwurf nicht erhärtet, so dass auch insoweit die Beteiligung Aig.s nicht feststeht. Er war daher freizusprechen.

 

428 Siehe Lfd.Nr.825.