Justiz und NS-Verbrechen Bd.XL

Verfahren Nr.813 - 830 (1974 - 1976)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.830a LG Hamburg 09.03.1976 JuNSV Bd.XL S.823

 

Lfd.Nr.830a    LG Hamburg    09.03.1976    JuNSV Bd.XL S.834

 

zunächst den ehemaligen Mitangeklagten Kle. 427 als den Obersturmführer bezeichnet hat, der den zweiten Transport aus Warschau brachte, dass er dann aber bei Durchsicht der Fotos den auf Foto 43 abgebildeten SS-Führer eindeutig als jenen Transportführer identifizierte. Foto 43 stellt nämlich den Obersturmführer Wi. dar.

 

Gegen die Zuverlässigkeit des Zeugen Lub. bestehen auch, wie an anderer Stelle aufgewiesen wird, noch weitere Bedenken. Das Schwurgericht hat nicht ausschliessen können, dass Lub. die Erschiessung des Baukommandos nicht selbst erlebt, sondern von dem wie er in Haifa lebenden Zeugen Sis. erfahren und als eigenes Erlebnis übernommen hat.

 

Sis. ist ein völlig andersartiger, in subjektiver Hinsicht zweifellos zuverlässiger Zeuge. Als Totengräber hat er Furchtbares erlebt. Dieses Erleben ist in dem einfach strukturierten Mann, der weder lesen noch schreiben kann, in all den Jahren nie völlig zur Ruhe gekommen. Das hat, ohne dass er sich dessen bewusst zu sein braucht, zu fantasievollen Verzeichnungen geführt. Sis. ist davon überzeugt und hat es in der Hauptverhandlung sehr eindrucksvoll geschildert, dass er den an einer akuten Blinddarmentzündung erkrankten Wak. auf Eickhoffs Befehl 4 km weit ins Lazarett getragen habe, dass er draussen vor der Tür gewartet habe und dass er noch heute die durchdringenden Schmerzensschreie in den Ohren habe, weil man Wak. ohne Narkose operiert habe. Schliesslich habe er unmittelbar nach der Operation den frisch Operierten wieder ins Lager zurücktragen müssen. Daran ist nur soviel richtig, dass Wak. wegen einer Blinddarmentzündung im Lazarett operiert wurde und dass Sis. später, als das Lager aufgelöst wurde, den noch nicht völlig genesenen Wak. zum Bahnhof in Bobruisk getragen hat. Das hat der Zeuge Wak., der es als Betroffener besser wissen muss, glaubhaft in der Hauptverhandlung bekundet.

 

Der Zeuge Sis. vermag auch hinsichtlich der Täter nicht gut zu differenzieren. Er hatte - aus seiner Sicht verständlich - kein Verständnis für die Fragen des Gerichts nach einzelnen Tätern. Für ihn sind alle SS-Angehörigen der Lagermannschaft in Bobruisk Mörder gewesen an den fast 1500 Juden, von denen nur 41 überlebten. Seine Antwort auf die Frage des Gerichts, wer dabeigewesen sei, lautete daher oft: "Alle, Eickhoff, Loyen, Adolf - wer denn sonst soll die 1500 Juden umgebracht haben?" Sis. hat auch bekundet, dass Kle. bei einer Erschiessungsaktion alles fotografiert habe. Das Entkleiden, das Erschiessen der Juden und das Herausbrechen der Goldzähne aus den Leichen. Auf Vorhalt, dass er früher hiervon nichts erwähnte, aber gesagt habe, Kle. habe auf dem Transport fotografiert, wie Juden ihre Notdurft verrichteten, war seine Antwort: "Alle haben sie immerzu fotografiert!"

 

Angesichts dieser Übertreibungen und Ungenauigkeiten hat das Schwurgericht Zweifel, ob der Bericht des Sis. von der Erschiessung des Baukommandos nicht Erinnerungsverschiebungen und Verwechslungen einschliessen kann. Es gibt andere Zeugen wie Spe., Tug. und B.-O., die zumindest zeitweise dem Baukommando angehört haben und die den Bericht von Lub. und Sis. nicht bestätigen konnten. Der Angeklagte Eickhoff war darum von diesem Tatvorwurf freizusprechen.

 

III.3 - Schuss in die angetretenen Juden

 

Von dem Vorwurf, bei einem Appell im Juni 1942 auf das Stichwort eines SS-Führers hin, der eine Rede hielt, mit seiner Pistole in die angetretenen Juden geschossen und dabei einen getötet zu haben, war der Angeklagte Eickhoff ebenfalls freizusprechen.

 

427 Siehe Lfd.Nr.825.