Justiz und NS-Verbrechen Bd.XL

Verfahren Nr.813 - 830 (1974 - 1976)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.830a LG Hamburg 09.03.1976 JuNSV Bd.XL S.823

 

Lfd.Nr.830a    LG Hamburg    09.03.1976    JuNSV Bd.XL S.833

 

zum Eingangsfall - erleichtert, zeigt hier ihre Kehrseite: Schlussfolgerungen aus der Funktion und Berichte über reale Beobachtungen sind zuweilen nicht mehr zu entwirren. Das darf nicht zu Lasten des Angeklagten gehen.

 

III.2 - Ermordung des Baukommandos

 

Dem Angeklagten ist zur Last gelegt worden, im Winter 1942/43 zusammen mit anderen mindestens 15 Angehörige eines Baukommandos nach durcharbeiteter Nacht an einer Grube erschossen zu haben, nachdem man jedem von ihnen vor der Erschiessung noch ein halbes oder gar ein ganzes Brot gegeben hatte.

 

Der Vorwurf ist nicht bewiesen worden. Nach dem sonstigen Ergebnis der Beweisaufnahme ist es zunächst wenig wahrscheinlich, dass die SS sich 15 ihrer besten Arbeitskräfte entledigte, nachdem man ihnen zuvor noch eine übermässig grosse Portion des stets knappen Brotes zu essen gegeben hatte. Geheimhaltungsgründe können kein Tötungsmotiv gewesen sein, denn der Bau selbst eines Krematoriums oder einer Gaskammer brauchte, wenn das allenfalls erahnbare Vorhaben abgebrochen wurde, nicht geheimgehalten zu werden. Im übrigen scheute man sich auch sonst nicht, Juden mit ungeheueren Grausamkeiten zu konfrontieren. Die Erschiessung des Baukommandos war auch, so wie sie der Anklage zugrunde liegt und von den Zeugen geschildert wird, keine mutwillige Exzesstat. Mithin musste das Schwurgericht hier an den Beweis erhebliche Anforderungen stellen: Die Zeugen Sis. und Lub. haben, obwohl sich ihre Aussagen in wesentlichen Punkten decken, dem Gericht die nötige Überzeugung nicht vermittelt. Übereinstimmend berichten beide von der Erschiessung des Baukommandos, das die ganze Nacht hindurch gebrauchte Ziegelsteine für einen, auch anderen Zeugen bekannten, Steinbau innerhalb einer schon bestehenden Baracke geputzt hätte. Beide erwähnen die Ausgabe einer Überration Brotes noch unmittelbar vor dem Marsch zur Exekutionsstätte. Während Sis. bekundet, dass sich die Opfer, zu denen zunächst auch er und Zucker gehört hätten, hätten entkleiden müssen, meint Lub., dass das Baukommando in bekleidetem Zustand erschossen worden sei. Auffällig ist, dass Lub. - auch auf Befragen - keine Erinnerung daran hatte, dass auch die Totengräber Sis. und Zucker zunächst in die Grube stiegen, sich dort hinlegten und dann doch noch verschont wurden. Da die Totengräber Männer waren, die jeder Jude im Lager kannte, hätte Lub. mit seinem guten Gedächtnis einen derart markanten Vorfall erinnern müssen. Das spricht hier gegen die Zuverlässigkeit von Sis. oder gegen die Anwesenheit Lub.s bei der Aktion.

 

Der Zeuge Lub. ist kein stets objektiver, nüchtern denkender Zeuge. An dem Platz, an dem das Baukommando Ziegelsteine aus einer alten Mauer gewonnen habe, habe es nach Leichen gerochen; das seien die Leichen der nach Ankunft des ersten Transportes erschossenen Juden gewesen, so hätten ihnen die Posten es erklärt. Diese Schilderung hat Lub. dem Gericht gegeben, so als sei er selbst dabei gewesen, habe es selbst gerochen und mit dem Posten gesprochen. Das stimmt jedoch nicht. Der Zeuge hat auf Nachfragen eingeräumt, nie an jenem Platz gewesen zu sein, an dem die Mauer abgebrochen wurde. Das weckt Zweifel, auch für das Erlebnis der Erschiessung des Baukommandos.

 

Diese werden durch den Umstand genährt, dass Lub. den Angeklagten Aig. zu Unrecht mit einer grossen Erschiessungsaktion nach Ankunft des zweiten Judentransportes belastet. Eine solche Aktion, bei der alle mit dem zweiten Transport angekommenen Juden gefragt wurden, wer nach Warschau zurück wolle und die sich Meldenden sodann erschossen wurden, ist von keinem der sieben anderen jüdischen Zeugen, die, wie Lub., dem zweiten Transport angehörten, bestätigt worden. Es ist darum so gut wie sicher, dass Lub. von einer Aktion nach Ankunft des ersten Transportes gehört hat und sie auch auf den zweiten Transport, bei dem sich Derartiges nicht zutrug, übertragen hat. Bedenklich ist ferner, dass Lub. in der Hauptverhandlung