Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659b BGH 27.10.1969 JuNSV Bd.XXVI S.821

 

Lfd.Nr.659b    BGH    27.10.1969    JuNSV Bd.XXVI S.830

 

Bewusstsein hatte, mit eigener Verantwortung Verbrechen zu begehen, sondern aus einer gewissen stupiden Indolenz ganz einfach ausführte, was seine "Oberen", also die Vertreter der Staatsautorität, ihm befohlen hatten.

 

Diese Einwendungen sind unbegründet. Das Schwurgericht hat den Lebenslauf des Angeklagten, seinen Charakter, seine Einstellung zu dem nationalsozialistischen Regime und zu den ihm unterstellten Häftlingen sowie seine Stellung und seine Aufgaben im Konzentrationslager eingehend erörtert. Danach kann nicht zweifelhaft sein, dass er sich des Unrechts der ihm vorgeworfenen Taten und seiner Verantwortung dafür bewusst war. Wie das Schwurgericht im Falle 4 mit Recht hervorgehoben hat, handelt es sich bei dieser Tat um ein so ungeheuerliches, allem Menschen- und Kriegsrecht widersprechendes Geschehen, dass sie für jedermann ersichtlich den Stempel des Unrechts trug (UA S.795). Das gilt in gleicher Weise für die beiden anderen Taten. Der Angeklagte hat auch nicht etwa nur Befehle ausgeführt. Seine Handlungen waren vielmehr im Falle 2 schon vom Wortlaut des Befehls, in den beiden anderen Fällen von dem Sinn der Befehle nicht gedeckt, wie er nach der Überzeugung des Schwurgerichts klar erkannt hatte. Bei dieser Sachlage kann es aus Rechtsgründen auch nicht beanstandet werden, dass das Schwurgericht den Angeklagten als Täter und nicht als Gehilfen angesehen hat.

 

5. Im Falle 2 war der Angeklagte allerdings nur einer von mehreren Kommandoführern, und er verhielt sich nicht anders als jene. Weshalb dies indessen, wie die Revision meint, der Annahme von Mittäterschaft entgegenstehen soll, ist nicht ersichtlich. Der Angeklagte handelte im Rahmen seiner Kommandoführung selbständig und war daher zunächst für die in seinem Befehlsbereich vorgekommenen Quälereien, die zum Tode von Häftlingen führten, verantwortlich. Er hat die Schikanen geduldet, gebilligt und mit durchgeführt (UA S.760). Dass er sich seiner Verantwortlichkeit nicht bewusst gewesen sein könnte, ist nach der Sachlage ausgeschlossen. Aber auch die Voraussetzungen der Mittäterschaft - gemeinschaftliche Begehung mit den übrigen Kommandoführern - und damit die Mitverantwortlichkeit für den Tod aller durch Quälereien zu Tode gekommenen Häftlinge sind rechtsfehlerfrei dargetan.

 

Der von der Revision in diesem Zusammenhang behauptete Widerspruch besteht nicht. Der Angeklagte leistete seinen Beitrag zu den Tötungen "aus einer inneren Einstellung heraus, die wertloses Menschenmaterial in den Häftlingen sah, deren Vernichtung letzten Endes nur im Interesse des von ihm gebilligten Terrorsystems liegen konnte und an deren Lebenserhaltung jedenfalls keinerlei Interesse bestand" (UA S.762). Eine solche Einstellung ist mit der Feststellung, dass er zwar aus geringfügigsten Anlässen, aus ganz nichtigen Gründen, nicht jedoch aus blosser Freude am Schlagen oder Töten, aus sadistischer Lust an menschlicher Qual, gegen Häftlinge tätlich wurde (UA S.638, 641), nicht unvereinbar.

 

Zu Unrecht bemängelt die Revision auch, dass das Schwurgericht bei der Prüfung der Glaubwürdigkeit des zu diesem Fall gehörten Zeugen Bei. dem Wiedererkennen in der Hauptverhandlung Bedeutung beigemessen habe. Im Urteil heisst es, der Zeuge habe den Angeklagten nach Fotos und persönlich in der Hauptverhandlung sofort wiedererkannt (UA S.755). Damit ist ersichtlich gemeint, dass er sich in der Hauptverhandlung nur noch von der Identität des Angeklagten mit der schon auf den Fotos erkannten Person überzeugt habe. Dies zu berücksichtigen, war dem Schwurgericht nicht verwehrt.

 

6. Die Revision beanstandet, dass das Schwurgericht im Falle 4 die Einlassung des Angeklagten, er habe den Befehl, alle Häftlinge zu liquidieren, die auf dem Evakuierungsmarsch nicht mitkommen könnten, als eine "Schweinerei" angesehen, gleichwohl aber den Befehl für rechtmässig gehalten, als "eine blosse Wortspielerei" bezeichnet hat (UA S.795). Bei richtiger Auslegung dieser Einlassung, so meint die Revision, hätte sich ergeben, dass der Angeklagte den Befehl zwar missbilligt, aber geglaubt habe, ihn als von der dazu berufenen