Justiz und NS-Verbrechen Bd.XL

Verfahren Nr.813 - 830 (1974 - 1976)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.830a LG Hamburg 09.03.1976 JuNSV Bd.XL S.823

 

Lfd.Nr.830a    LG Hamburg    09.03.1976    JuNSV Bd.XL S.827

 

Die Arbeitsabteilung war eine Bewährungseinheit straffällig gewordener SS-Männer verschiedener Dienstgrade. Nach der Strafverbüssung mussten sie - bis zu ihrer Rehabilitierung - als sogenannte Arbeitsschützen ohne Rang Dienst tun und sich bewähren.

 

Die Arbeitsabteilung unterstand personell dem Führungshauptamt III in Berlin, einsatzmässig und disziplinarisch dem jeweiligen Kommandeur der Nachschubkommandantur Russland-Mitte. Führer der etwa 200 Mann starken Einheit war der damals schon etwa 50 Jahre alte Obersturmführer Harzer, der wegen seiner Gutmütigkeit und seines Alters allgemein als "Papa Harzer" bekannt war. Er war seiner nicht leichten Aufgabe in keiner Weise gewachsen und überliess fast alles seinem wesentlich energischeren und tatkräftigeren Stellvertreter, dem damaligen Hauptscharführer Aig. Harzer und Aig. erhielten ihre Befehle vom Stab der Nachschubkommandantur. Nach Eintreffen der Juden liess man weitgehend diese die bisher von Arbeitsschützen verrichteten Arbeiten im Waldlager tun. Die Arbeitsschützen übernahmen ihre Bewachung. Sie nahmen die Juden morgens am Tor zum Judenlager in Empfang und lieferten sie abends dort wieder ab.

 

Das Judenlager wurde im südwestlichen Teil des Waldlagers eingerichtet. Dort standen zunächst nur einige ehemalige Pferdestallbaracken ohne jede Inneneinrichtung. Später wurden für die Unterbringung der Juden weitere Baracken errichtet. Das Judenlager wurde auch erst nach Ankunft des ersten Judentransportes eingezäunt. Ausserhalb des Zaunes lagen Unterkunftsbaracken für die SS-Lagermannschaft und die Wachmannschaft. Auch die Küche für das Judenlager, die erst später eingerichtet wurde, befand sich ausserhalb der Umzäunung.

 

Ein erster Transport von Juden aus dem Warschauer Ghetto wurde am 29.Mai 1942 auf einem Warschauer Umschlagplatz in geschlossene Viehwaggons verladen. Er setzte sich zusammen aus willkürlich im Ghetto aufgegriffenen Männern und etwa 150 wegen Schmuggels inhaftierten Kindern im Alter von 12 bis 17 Jahren. Der Transport dauerte mehrere Tage und Nächte und war gekennzeichnet durch Durst, Hunger und qualvolle Enge in den Waggons. Einige der Juden überlebten den Transport nicht, 960 wurden in sehr schlechtem körperlichen Zustand auf offener Strecke in der Nähe des Bahnhofes Bobruisk ausgeladen und zu Fuss ins Waldlager getrieben.

 

Ein zweiter Transport mit etwa 500 männlichen Juden aus Warschau traf etwa Ende Juli / Anfang August 1942 ein. Im Gegensatz zum ersten handelte es sich dabei im wesentlichen um arbeitsfähige Männer, die man mit dem Versprechen guter Arbeit und Verpflegung im Warschauer Ghetto angeworben oder zwangsweise ausgehoben hatte. Als die Männer im Waldlager eintrafen, fanden sie die Angehörigen des ersten Transportes, deren Zahl schon stark geschrumpft war, in einem abgemagerten kümmerlichen Zustand vor. Bezeichnend für ihre Verfassung ist die Aussage des Zeugen B.-O., der seinen Schwager dort wiedertraf: Der Schwager fragte nicht nach seiner Familie sondern bat um ein Stück Brot.

 

Von den etwa 1400 bis 1500 Juden, die nach Bobruisk gebracht worden waren, lebten im September 1943, als das Lager aufgelöst wurde, noch 91: Im Waldlager selbst überlebten nur 41; 50 weitere kamen aus dem Truppenwirtschaftslager Bobruisk, wohin sie schon bald nach ihrer Ankunft im Waldlager verlegt worden waren. Dort war ihr Schicksal einigermassen erträglich, und es starben nur wenige. Im Waldlager dagegen kamen innerhalb von 12 bis 15 Monaten fast alle um. Viele wurden erschossen, andere starben an Entkräftung als Folge der völlig unzureichenden Ernährung. Besonders viele kamen im kalten Winter 1942/43 um, weil sie, mit nur leichtem Drillichzeug bekleidet, schutzlos der Kälte preisgegeben waren. Überlebt haben fast nur die robustesten Männer, und von ihnen durchweg solche, die es verstanden hatten, sich "illegal" oder auf Grund bevorzugter Stellung Sondernahrung zu beschaffen.

 

Das Judenlager war auf Betreiben des SS-Standartenführers Martin eingerichtet worden, dem es auch unterstand. Als Führer des Judenlagers setzte er den SS-Hauptsturmführer Söldner