Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659b BGH 27.10.1969 JuNSV Bd.XXVI S.821

 

Lfd.Nr.659b    BGH    27.10.1969    JuNSV Bd.XXVI S.827

 

Die Grausamkeit der Tötung ist ein "tatbezogenes" Merkmal (BGHSt. 22, 375, 382). Auf die Beihilfe zu einer solchen Tötung ist §50 Abs.2 StGB n.F. deshalb nicht anwendbar.

 

b) Zur Frage, ob ein Angeklagter, obwohl er das Unrecht befohlener Erschiessungen erkannte, noch einem Verbotsirrtum unterlegen sein kann, indem er den Befehl trotzdem für verbindlich hielt, hat das Schwurgericht ausgeführt, ein solcher Verbotsirrtum könne allenfalls noch insofern gegeben sein, als ein Angeklagter glaube, wegen der Verbindlichkeit des Befehls sei es ihm erlaubt, Unrecht zu tun. Das würde aber voraussetzen, dass es erlaubtes Unrecht geben könnte. Jedenfalls könne von einem Verbotsirrtum dann keine Rede sein, wenn der Täter lediglich mit Rücksicht darauf, dass er einen Befehl von einer hohen staatlichen Dienststelle erhalten habe, sich über Recht und Unrecht hinweggesetzt habe, oder wenn er den Gehorsam gegenüber einem Befehl der Befolgung des Gebots, kein Unrecht zu tun, vorgezogen habe. In diesen Fällen fehle es überhaupt an einem Irrtum; es liege lediglich eine Fehlmotivierung vor.

 

Gegen diese Ausführungen bestehen durchgreifende Bedenken. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass die für den Verbotsirrtum entwickelten Grundsätze auch dann anzuwenden sind, wenn der Befehlsunterworfene den verbrecherischen Zweck eines Befehls zwar erkannt, aber gleichwohl geglaubt habe, den Befehl ausführen zu müssen, weil er aus falsch verstandener Gehorsams- oder Treuepflicht auch Befehle für bindend hielt, die ihm die Begehung strafbarer Handlungen ansannen (vgl. u.a. BGHSt. 22, 223).

 

Indessen sind die Rechtsausführungen des Schwurgerichts zur Frage eines Verbotsirrtums nur theoretischer Natur. Nach den Feststellungen leistete der Angeklagte nämlich seinen Tatbeitrag nicht, weil er glaubte, der Befehl sei bindend und befreie ihn von der strafrechtlichen Verantwortung. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts sah er sich vielmehr nicht als blossen Befehlsempfänger an, dessen Handlung schon deshalb gerechtfertigt sei, weil er lediglich einen Befehl ausführe (UA S.700). Er wirkte freiwillig mit und scheute allenfalls die Unannehmlichkeiten, die eine Auseinandersetzung mit dem Lagerkommandanten über seine Teilnahme an den Exekutionen mit sich gebracht hätte (UA S.701). Diese Feststellungen sind zwar in einem anderen Zusammenhang getroffen, sie schliessen jedoch auch ein Handeln auf Grund eines Irrtums über die Verbindlichkeit des Befehls aus. Das wird durch die weitere Feststellung, dass der Angeklagte aus einer gefühllosen und unbarmherzigen Einstellung heraus tätig wurde (UA S.699), nur noch bestätigt.

 

Weil er freiwillig mitwirkte, scheidet auch, wie schon an dieser Stelle bemerkt sei, in den weiteren sechs Fällen, in denen Häftlinge auf Anordnung des Reichssicherheitshauptamtes getötet wurden, ein Verbotsirrtum des Angeklagten aus. Die Überzeugung des Schwurgerichts, dass er freiwillig mitwirkte, kommt in den Fällen 5 und 6 darin zum Ausdruck, dass es bezüglich der Einstellung des Angeklagten zu den Taten und der Gründe für die Mitwirkung auf die Ausführungen im Falle 4 verweist (UA S.704, 705). In den Fällen 7 und 8 ist wieder ausdrücklich gesagt, dass Schul. freiwillig mitmachte (UA S.715), und für die Fälle 9 und 10 ergibt sich dies zweifelsfrei aus der Feststellung, dass es dem Angeklagten auf eine reibungslose Zusammenarbeit mit dem Lagerkommandanten und den übrigen SS-Führern ankam (UA S.726).

 

4. Für die übrigen Fälle von Häftlingserschiessungen (Fall 5 bis 8) kann zunächst auf die Ausführungen unter 3 Bezug genommen werden.

 

5. Nach den Urteilsfeststellungen wurden 130 tschechische Frauen unter der Vorspiegelung, dass sie geduscht würden, in der Gaskammer durch Gas getötet (Fall 6). Das Schwurgericht hat zutreffend angenommen, dass die Frauen aus niedrigen Beweggründen und, soweit sie glaubten, geduscht zu werden, auch heimtückisch getötet worden sind. Ausserdem ist das Merkmal der Grausamkeit bejaht worden. Angesichts des qualvollen Sterbens in der