Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659b BGH 27.10.1969 JuNSV Bd.XXVI S.821

 

Lfd.Nr.659b    BGH    27.10.1969    JuNSV Bd.XXVI S.823

 

3. Im Herbst 1944 liess der Angeklagte als Lagerführer des Nebenlagers Wien-Floridsdorf einen Häftling von seinem Schäferhund beissen. Die erheblichen Verletzungen führten zu einer allgemeinen Sepsis, an der der Häftling starb.

 

4. In der Nacht zum 1.April 1945 wurden auf Befehl des Angeklagten im Nebenlager Hinterbrühl, dessen Kommandant er damals war, 50 Häftlinge, die krankheitshalber an dem befohlenen Evakuierungsmarsch nach Mauthausen nicht teilnehmen konnten, durch Benzininjektionen in die Herzgegend getötet.

 

5. Auf dem Evakuierungsmarsch vom 1. bis 8.April 1945 wurden auf Weisung des Angeklagten mindestens 72 marschunfähige Häftlinge erschossen.

 

Das Schwurgericht hat den Angeklagten Streitwieser in den Fällen 2, 4 und 5 wegen gemeinschaftlichen Mordes zu lebenslangem Zuchthaus und in den Fällen 1 und 3 wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Gesamtzuchthausstrafe von sieben Jahren, ferner zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit verurteilt. In weiteren Fällen hat es ihn freigesprochen.

 

III. « Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft »

 

Die Angeklagten wenden sich mit ihren Revisionen jeweils insoweit gegen das Urteil, als sie verurteilt worden sind. Sie rügen die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer - vom Generalbundesanwalt nicht vertretenen - Revision in den Fällen I 2 und 3 die Verurteilung des Angeklagten Schul. wegen Mordes statt wegen Beihilfe zum Mord, ferner die Verurteilung des Angeklagten Streitwieser wegen Mordes in einem Falle, in dem er freigesprochen worden ist (Tötung von drei Häftlingen durch Genicktritt). Sie rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Keine der Revisionen hat Erfolg.

 

B. Revision des Angeklagten Schul.

 

I. Verfahrensbeschwerden

 

1. Am Tage der Urteilsverkündung wurden mit Genehmigung des Vorsitzenden des Schwurgerichts im Verhandlungssaal Film- und Fernsehaufnahmen durch Presseberichterstatter und Fernsehanstalten gemacht. Dabei waren die Richter und Staatsanwälte sowie die Verteidiger und Zuhörer zugegen, während die Angeklagten, die als einzige ihr Einverständnis nicht gegeben hatten, ausserhalb des Verhandlungssaales warten mussten. Alsdann zog sich das Gericht, ohne dass von einem der Beteiligten irgendwelche Erklärungen zur Sache abgegeben worden waren, zurück und betrat nach einer Pause, in der die Aufnahmegeräte entfernt wurden, den Verhandlungsraum wieder. Der Vorsitzende eröffnete in Gegenwart der inzwischen vorgeführten Angeklagten die Sitzung und verkündete das Urteil.

 

Der Beschwerdeführer sieht in diesem Vorgang eine Verletzung des §169 Satz 2 GVG. Seiner Auffassung kann jedoch nicht beigetreten werden.

 

Während §169 Satz 1 GVG für die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht, einschliesslich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse, die unmittelbare Öffentlichkeit, d.h. die Möglichkeit der räumlichen Anwesenheit beliebiger Zuhörer, fordert, schliesst Satz 2 durch das Verbot, Ton- und Fernseh-Rundfunk-Aufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts zu machen, die mittelbare Öffentlichkeit insoweit aus. Schon aus dem engen Zusammenhang beider Sätze ergibt sich, dass dieses Verbot ebenso wie die Bestimmung über die unmittelbare Öffentlichkeit nur für den eigentlichen Gang der Hauptverhandlung, d.h. für die Zeit gilt, während der wirklich verhandelt wird und Urteile oder Beschlüsse verkündet werden.