Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.810

 

weniger sei es dem Zeugen Pet. möglich gewesen, aus mehreren Metern Entfernung seine - des Angeklagten - Bemerkungen zu dem unbekannten SS-Unterführer zu verstehen oder gar das Geräusch der Tritte zu hören. Auch seien die kranken und toten Häftlinge der Arbeitskommandos niemals vor der Wäschereibaracke abgelegt worden. Tote Häftlinge seien vielmehr sofort ins Krematorium geschafft worden; kranke Häftlinge seien zu ihren Baracken gebracht und dort bei den Appellen mitgezählt worden. - Schliesslich habe er - der Angeklagte - schon aus rein physischen Gründen die Tritte nicht ausführen können, weil er damals den Arm gebrochen gehabt habe und vor Schmerzen kaum habe gehen können.

 

Der Zeuge Pet. hat als einziger Tatzeuge folgendes bekundet:

Zur Tatzeit sei er Blockältester im sogenannten "Prominentenblock" 5 gewesen und habe am Eingang der Wäschereibaracke gestanden, um das reibungslose Baden der Häftlinge seines Blocks zu überwachen. Es sei im März oder April 1945 gewesen. In der Nähe seines Standortes - etwa 20 m entfernt - hätten eine Anzahl von toten und halbtoten Häftlingen gelegen, die von den einrückenden Arbeitskommandos dort abgelegt worden seien, damit die Blockführer "ihre" Häftlinge zum Zählappell heraussuchen konnten. In diesem Augenblick seien der Angeklagte Streitwieser und ein unbekannter SS-Unterführer auf die auf dem Boden liegenden Häftlinge hinzugekommen. Streitwieser habe seinen Arm in einer Schlinge getragen. Er - der Zeuge - habe ihn sofort wiedererkannt; denn er habe den Angeklagten bereits im Jahre 1938 im Konzentrationslager Sachsenhausen kennengelernt, wo dieser Blockführer des Bibelforscherblocks 17 gewesen und dem Zeugen durch sein forsches und schreierisches Wesen aufgefallen sei.

Der Angeklagte habe sich mit dem SS-Unterführer unterhalten. Er - der Zeuge - habe gehört, wie beide eine Art Wette abschlossen, bei der es darum gegangen sei, dass man einen Häftling mit einem einzigen Fusstritt ins Genick töten könne. Dann habe er beobachtet, wie Streitwieser zweimal Anlauf nahm und zwei Häftlingen nacheinander ins Genick getreten habe, wie man gegen einen Fussball trete. Anschliessend habe sich der Zeuge abgewandt, weil es lebensgefährlich gewesen sei, den Untaten der SS-Leute zuzusehen. Er habe aber danach noch mindestens einmal das Geräusch des Genicktrittes gehört. Dann habe er gesehen, dass Streitwieser durch den SS-Obersturmführer Altfuldisch aus dem Schutzhaftlager geführt worden sei.

Er wisse genau, dass in dem Haufen der auf dem Boden liegenden Häftlingen noch Leben gewesen sei; es könne aber sein, dass die vom Angeklagten Getretenen bereits vorher tot gewesen seien; für den Fall, dass sie noch gelebt hätten, wisse er - der Zeuge - nicht, ob sie an den Folgen der Genicktritte verstorben seien.

 

Die weitere Beweisaufnahme hat nichts ergeben, was den Bekundungen des Zeugen entgegenstehen könnte. Insbesondere ist das Gericht überzeugt, dass trotz der Überbelegung des Lagers zur Tatzeit und der Möglichkeit, dass sich damals ständig zahlreiche Häftlinge auf dem Appellplatz aufhielten, nicht ein solcher Lärm herrschte, dass der Zeuge Pet. akustisch nicht in der Lage gewesen wäre, das von ihm bekundete Gespräch zwischen dem Angeklagten und seinem Begleiter zu verstehen. Das Gericht hält es für ausgeschlossen, dass die SS derartigen Lärm geduldet hätte; überdies hat keiner der hierzu vernommenen Zeugen die Einlassung des Angeklagten über den zur Tatzeit angeblich herrschenden lautstarken Lärm bestätigt.

 

Auch ist das Gericht überzeugt, dass der Angeklagte, obwohl er einen Arm gebrochen hatte und in der Schlinge trug - dies wird im übrigen gerade von dem Zeugen Pet. bestätigt - physisch in der Lage war, die Genicktritte auszuführen. Immerhin war er ja auch in der Lage gewesen, mit seinem gebrochenen Arm einen PKW 8 Tage lang auf dem Rückmarsch von Hinterbrühl nach Mauthausen zu steuern - eine gewisse stärkere physische Belastung des Armes als sie für die hier zur Rede stehende Tatausführung erforderlich gewesen wäre.