Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.808

 

lasse, sei der Angeklagte des versuchten Mordes gem. §211 StGB, begangen aus niedrigen Beweggründen und in der Form der heimtückischen und grausamen Begehungsweise schuldig.

 

Der Angeklagte bestreitet diese Tat. Der ihn belastende Zeuge Glö. müsse ihn mit einem anderen SS-Mann verwechselt haben. Im Sommer 1939 sei der Appellplatz noch nicht im Bau gewesen, im Sommer 1940 sei er - der Angeklagte - in Gusen und im Sommer 1941 an der Ostfront gewesen.

 

Die Vernehmung des einzigen Tatzeugen Franz Glö. hat zu dem Vorwurf folgendes ergeben:

Der Zeuge hat in der Hauptverhandlung bekundet, der Appellplatz in Mauthausen sei 1940 oder 1941 vornehmlich von holländischen Juden erbaut worden. Zur Tatzeit sei es sehr heiss gewesen; trotzdem hätten die Juden ihre Arbeit ständig im Laufschritt erledigen müssen. Öfters habe einer von ihnen versucht, seinen Durst in einer der zu Bauzwecken aufgestellten Wassertonnen zu löschen. Er - der Zeuge - habe bei solchen Gelegenheiten mehrfach beobachtet, dass Kapos oder SS-Leute diese Juden solange mit dem Kopf in die Wassertonnen gedrückt hätten, bis sich die Opfer nicht mehr geregt hätten. Es sei auch vorgekommen, dass man den Dürstenden einen Wasserschlauch in den Mund gesteckt und dann die Leitung voll aufgedreht habe. Er - der Zeuge - habe den Angeklagten Streitwieser häufig "bei solchen Sachen" gesehen. Ob dieser allerdings persönlich einen Häftling in eine Wassertonne gedrückt habe, vermöge er nicht mehr zu sagen.

 

Dem Zeugen ist daraufhin seine polizeiliche Vernehmung vom 1.3.1960 (Bd.37, Bl.7326 r., Zf.15) vorgehalten worden, worin er den Angeklagten beschuldigt hatte, eigenhändig einen Juden in eine Wassertonne gedrückt zu haben, bis dieser sich nicht mehr rührte. - Hierzu hat der Zeuge erklärt, dass er bei seiner polizeilichen Vernehmung nach seiner damaligen Erinnerung richtig ausgesagt habe, dass er aber heute in der Hauptverhandlung, wo es für Streitwieser um alles gehe, eine Verwechslung nicht völlig ausschliessen möchte.

 

Nach einer Sitzungspause hat der Zeuge diese Erklärung widerrufen und bekundet, dass ihm durch Vorhalt der Vorfall wieder in Erinnerung gekommen sei. Der Angeklagte sei doch mit Sicherheit derjenige gewesen, der einen jüdischen Häftling mit dem Kopf in eine Wassertonne gesteckt habe. Streitwieser habe damals eine leichte SS-Uniform getragen. Dass es sich bei dem Häftling um einen holländischen Juden gehandelt habe, wisse er daher, weil dieser Häftling unter seinem Judenstern den Buchstaben "H" getragen habe. Auf Vorhalt hat der Zeuge erklärt, es könne sich auch um den Buchstaben "N" (Niederlande) gehandelt haben.

Es wurde oben unter D II 2 bereits ausgeführt, dass der Zeuge Glö. subjektiv völlig glaubwürdig ist. Auch zeigt seine Vernehmung gerade zu vorliegendem Fall, dass er mit Belastungen des Angeklagten Streitwieser sehr vorsichtig ist. Er hat in dem Bewusstsein, dass es jetzt für den Angeklagten "um alles" geht, an dessen Täterschaft lieber letzte Zweifel offen gelassen und sich erst nach einer längeren Überlegungspause zu der Bekundung durchgerungen, dass der Angeklagte wohl doch mit Bestimmtheit der Täter gewesen sei.

 

Gleichwohl hält das Gericht es nicht für gänzlich ausgeschlossen, dass der Zeuge - subjektiv im besten Glauben - einer Verwechslung unterlegen ist.

 

Es wurde bereits in den Vorbemerkungen zu C und D ausgeführt, wie ausserordentlich vorsichtig Zeugenaussagen in einem Verfahren wie dem vorliegenden gewertet werden müssen, insbesondere weil das menschliche Gedächtnis ein äusserst unsicherer Faktor ist, dessen Versagen kaum ausgeschlossen werden kann, wenn es sich an fast 30 Jahre zurückliegende Vorfälle rückerinnern soll. (Hier lag schon die erste polizeiliche Vernehmung des Zeugen Glö. etwa 20 Jahre nach dem Tatgeschehen.) Das Gericht hat daher grundsätzlich Bedenken, einen Angeklagten allein aufgrund einer einzigen Zeugenaussage als überführt anzusehen und zwar insbesondere dann, wenn keinerlei andere Beweisanzeichen die