Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.799

 

ganz blutig gewesen. Genaueres habe er nicht beobachtet, habe nur an sich gedacht, nämlich, wie er sich habe helfen können. Die Schläge seien aber den Menschen an die Köpfe gegangen, sein Vater und andere Männer seien hingefallen durch die Schläge an die Köpfe. Er glaube, 2 oder 3 seien getötet worden, er habe jedenfalls Blut gesehen, die Köpfe seien blutig gewesen, es sei viel Blut da gewesen. Der Zeuge ist gefragt worden, ob ihm die Namen Grüner, Kominkowski, Posener und Stumzeiger etwas sagen würden. Er hat mit den Namen zunächst nichts verbinden können, erst auf weitere Nachfragen hat er vage gemeint, vielleicht seien die mal geschlagen worden.

 

In weiteren intensiven Befragungen hat sich herausgestellt, dass er irgendwelche äusserlichen Anzeichen, die für eine - auch nur wahrscheinlich eingetretene - Todesfolge der Schläge sprechen könnten, nicht mehr hat angeben können. Mit ihm ist schliesslich erörtert worden, dass er früher berichtet hat, sein Vater sei weggeführt worden, was doch seiner jetzigen Bekundung widerspreche, jener sei wohl totgeschlagen worden. Hierzu hat der Zeuge gemeint, er könne sich nicht an Einzelheiten erinnern, vielleicht sei sein Vater weggeführt oder weggeschleppt worden. Die anderen seien vielleicht nur bewusstlos gewesen; noch immer glaube er, dass einzelne tot, andere sterbend gewesen seien.

 

Ihm ist vorgehalten worden, er habe in einer Vernehmung 1960 überhaupt nur erwähnt, dass sein Vater, der ebenfalls beiseite habe treten wollen, von Frenzel geschlagen worden sei, ohne weitere Angaben hierzu; dass er 1963 erklärt habe, Frenzel habe eine grössere Anzahl der eng gedrängten Leute an den Kopf getroffen, die daraufhin teilweise bewusstlos, teilweise tot niedergefallen seien und sein neben ihm stehender Vater sei auf diese Weise niedergeschlagen worden; dass er in seinem Erlebnisbericht zwar geschrieben habe, sein Vater habe einige Schläge mit einem Brett auf den Kopf bekommen, von anderen geschlagenen Männern habe er in dem Zusammenhang nicht, wohl aber an späterer Stelle geschrieben, dabei die vier vorhin genannten namentlich aufgeführt und zu seinem Vater mitgeteilt, jener habe nach dem Schlag gewankt und sei bewusstlos zusammengebrochen. Weiter ist ihm vorgehalten worden, dass er 1965 in der Hauptverhandlung zu seinem Vater erklärt habe, jener sei hingefallen und man habe ihn später weggeführt, wohingegen er weiter gesagt habe, er habe von anderen der umgefallenen Menschen gesehen, wie das Gehirn herausgetreten sei, deswegen habe er gewusst, dass sie tot gewesen seien, das seien vielleicht 8 bis 10 Leute gewesen.

 

Bei den vielfältigen Erklärungsversuchen des Zeugen hat die Kammer den deutlichen Eindruck gewonnen, dass nach fast 4 Jahrzehnten und insbesondere dadurch, dass er sich, wie er selbst erklärt hat, mit vielen Artikeln und Manuskripten beschäftigt, Filmdrehbücher und ähnliche Unternehmungen angefangen, vieles gelesen und auf einer grossen Anzahl von Reisen Interviews mit anderen Sobibor-Häftlingen geführt hat, bei diesem Zeugen zum eigentlichen Kerngeschehen vieles durcheinander geht, dass er nicht mehr zu trennen vermag zwischen selbst Erlebtem und eigenständig Erinnertem einerseits und Gehörtem, zur Ausschmückung Erdachtem andererseits.

 

Weder die Zeugen Kor. noch Symcha Bia. haben so weitreichende Folgen der Schläge beschrieben.

 

Den schriftlichen Berichten sind Hinweise darauf, dass Menschen unter den Schlägen zu Tode gekommen sind, gleichfalls nicht zu entnehmen. Nach dem aus dem Jahre 1944 stammenden Bericht des inzwischen verstorbenen Zeugen Pod., der unzweifelhaft gemeinsam mit Bla. aus Izbica gekommen war, ist nur davon die Rede, dass aus diesem Transport 40 in Sobibor ausgesucht, allerdings vorher, aber bereits noch in Izbica, 40 erschlagen worden seien. Es erscheint danach möglich, dass der Zeuge Bla. dieses Ereignis auf Sobibor konfabuliert und auf den Angeklagten übertragen hat.