Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.792

 

zuverlässig dargestellt hat, erscheint der hier angesprochene Aussageteil um deswillen beachtlich, weil ohnehin überraschend wirkt, dass das Sortierkommando noch im Oktober 1943 dort eingesetzt gewesen sein soll, als schon seit Wochen nur noch vereinzelt - russische - Transporte eingetroffen waren, in der allerletzten Zeit keine Transporte mehr kamen.

 

Weniger bedeutsam erscheinen die einzelnen geringfügig untereinander abweichenden Darstellungen darüber, wann der Zeuge Eng. auf Frenzel und Dr. Bresler aufmerksam geworden sein will und damit, auf welcher Wegestrecke er sie insgesamt bei jenem Vorfall beobachtet habe. Auch die unterschiedlichen Angaben, ob Frenzel einmal oder zweimal und darüber, ob er seitlich oder als Genickschuss in den Kopf geschossen habe, erscheinen nicht so bedeutsam, dass sie für sich ernsthafte Zweifel an der Zuverlässigkeit der Bekundung wecken würden; in der Gesamtheit betrachtet, deuten sie jedoch immerhin eine gewisse Unsicherheit des Zeugen an. Dass kann zwar im Einzelfall gerade dafür sprechen, dass ein Zeuge einen Sachverhalt in der jeweiligen Vernehmungssituation so schildert, wie er ihn in der originären Erinnerung hat, es kann aber eine - wie hier - ohnehin nur auf ein Kerngeschehen reduzierte, stets gleichbleibende Wiederholung andeuten, dass es sich um ein Abspulen eines erlernten Sachverhalts handelt, der einer realen Erinnerung entbehrt.

 

Nach dem von dem Zeugen gewonnenen Eindruck ist er zur Überzeugung des Gerichts in der jetzigen Vernehmungssituation sich subjektiv sicher gewesen, den Vorgang so erlebt zu haben, wie er ihn jetzt geschildert hat. Die beschriebenen Unsicherheiten des Zeugen sind nach Auffassung der Kammer jedoch gewichtig genug, um auch in diesem Fall die Entscheidung, ob Feststellungen zum Nachteil auf die Aussage Chaim Eng.s gestützt werden können, davon abhängig zu machen, inwieweit und welcher Art weitere, stützende Aussagen zur Verfügung stehen.

 

Am 22.Juni 1946 haben die Zeugen Saartje und Chaim Eng. "Eidesstattliche Erklärungen" vor dem Ermittlungsdienst für Kriegsverbrechen in Zwolle abgegeben, die Niederschriften sind unter dem 07.Juli 1946 unterzeichnet worden. Die Kammer hat als wahr unterstellt, dass die Zeugen so, wie dort niedergelegt, ausgesagt haben. Zunächst hat Saartje Eng. recht allgemein über den Vernichtungsablauf in Sobibor berichtet, insbesondere auch Beschreibungen des Lagers III abgegeben. Sodann hat sie über einige Einzelfälle, nämlich den Belzec-Transport berichtet und dass Frenzel einen jüdischen Jungen dafür verantwortlich gemacht habe, dass ein Schwein krank geworden sei und wie er ihn dafür misshandelt hat; schliesslich wird noch über die Ankunft eines russischen Kriegsgefangenentransportes im September 1943 und den Aufstand berichtet.

 

Im Anschluss hierzu ist Chaim Eng. befragt worden und hat erklärt, er stimme mit den Aussagen seiner Frau voll und ganz überein. Er hat dann geschildert, beim Haarschneiden gearbeitet zu haben, dass im Winter 1942 auf 1943 ein Bagger die Leichen der zur Anfangsphase des Lagers vergasten Personen ausgegraben habe. Weiter heisst es: "Im Anschluss an die Aussage meiner Frau möchte ich Ihnen noch einige weitere Beispiele für die Behandlungsmethoden im Lager geben. Für den geringfügigsten Verstoss wurde man auf der Stelle erschossen. Ich habe persönlich beobachtet, wie der SS-Oberscharführer Wagner einen Juden erschoss, der bei der Aussortierung der Nahrungsmittel, die den vergasten Juden gehörten, eine Sardinenbüchse geöffnet hatte, um die Sardinen zu essen." Sodann berichtet er, auf Befehl Frenzels seien 72 Holländer erschossen worden, äussert sich über die Zahl der Opfer in Sobibor und die Flucht. Abschliessend beschreibt er Wagner, Frenzel, Michel, G., Wol., Nowak, Weiss und andere, jeweils mit wenigen Angaben. - Damit geht das Gericht davon aus, dass der Zeuge Chaim Eng. (ebenso wie seine Ehefrau Saartje) bei einer weiteren Gelegenheit eine Aussage gemacht hat, die zwar noch nicht bekannt gewesen ist, als er persönlich in der jetzigen Hauptverhandlung vernommen worden ist, die aber inhaltlich vergleichbar ist mit anderen, die seinerzeit vorgelegen haben und zu welchen er befragt worden ist, zu deren