Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.701a LG Stuttgart 13.03.1969 JuNSV Bd.XXXI S.697

 

Lfd.Nr.701a    LG Stuttgart    13.03.1969    JuNSV Bd.XXXI S.792

 

individuellen Besonderheiten - bei beiden Angeklagten in ganz entscheidender Weise mildernd zu berücksichtigen, dass sie einem äusserst starken fremden Tatantrieb erlegen sind. Keiner von ihnen ist seinem Wesen nach ein Verbrecher; sie wurden erst von einer menschenverachtenden Clique skrupelloser politischer Verbrecher zu solchen gemacht. Deren verderblicher Einfluss war umso wirksamer, als durch die jahrelange, mit allen Mitteln einer geschickten Propaganda betriebene Hetze gegen die sogenannten minderwertigen Rassen, hauptsächlich das Judentum, die Achtung vor der Würde und dem Lebensrecht dieser angeblich "artfremden" Menschen in weiten Kreisen des Volkes sehr erheblich gelitten hatte. Der Rassismus wurde in der politischen Erziehung vornehmlich der SS derart in den Vordergrund gerückt, dass er in dem Masse in blinden, unversöhnlichen Hass gegen das Judentum und absolute Verachtung der sogenannten Fremdvölker umschlug, in dem sich der Einzelne dem Nationalsozialismus und seinen Führern ergeben fühlte, und dieses Mass war bei beiden Angeklagten sehr gross. Rassenhass und Menschenverachtung wurden so zum Ausdruck vermeintlicher Liebe zu "Führer, Volk und Vaterland". Dieser Ungeist beherrschte in erheblichem Umfange die Vorstellungswelt der Angeklagten.

 

Soh. und Zie. haben frühzeitig dazu beigetragen, dem Nationalsozialismus die Wege zu ebnen. Beide, vor allem aber Zie., standen dem nationalsozialistischen Propagandaapparat sehr nahe. Daraus wurde ihnen allerdings kein straferschwerender Vorwurf gemacht; denn es kann angenommen werden, dass sie - wie damals viele Deutsche - in gutem Glauben oder wenigstens ohne Einsicht handelten, welches Verhängnis sie durch ihren aktiven Einsatz für dieses System mitverantwortlich heraufbeschworen. Die Angeklagten wurden gewollt oder ungewollt in falschen Idealen eingefangen und dann schnöde zu üblen Verbrechen missbraucht. Unter einem Regime, das den Kampf, die Härte und den bedingungslosen Einsatz verherrlichte, unter dem die Gefolgschaftstreue zur höchsten Mannestugend erhoben wurde, glaubten sie, eher das Unrecht, welches allerorten schon zur Gewohnheit geworden war, auf sich nehmen zu können, als die vermeintliche Schande, als "Weichling" und Verräter an der nationalsozialistischen Sache zu gelten. Ihre Einsatzbereitschaft wurde in Bahnen gelenkt, in denen sie sich in tiefste menschliche Schuld verstricken mussten. Schuldbeladen sind sie daher heute selbst die Opfer einer von ihnen persönlich mitgeschaffenen bösen Epoche, in der sie es auf sich nahmen, ihr Gewissen, das sie sehr wohl hörten, zu verleugnen. So kann den Angeklagten die Verantwortung für ihre Taten nicht allein überlassen werden. Sie trifft vielmehr unzählige Mitverantwortliche, von denen viele noch schwerere Schuld an dem Unheil tragen als die Angeklagten. Es handelt sich hier um ein geschichtliches Unrecht, in das die Angeklagten mit ihren Straftaten eingebettet sind und angesichts dessen sie, die sich im Gegensatz zu anderen nicht selbst zum Herrn des Geschehens erhoben und Exzesse begingen, als Räder in einer riesenhaften Mordmaschinerie erscheinen. Zwar ändert dies nichts daran, dass die von Soh. und Zie. verübten Verbrechen als Mordbeihilfe schweres kriminelles Unrecht darstellen. Doch ist dieses Unrecht auf einem völlig anderen Boden gewachsen als die Alltagskriminalität. Echte Vergleichsmassstäbe, insbesondere im Verhältnis zu den üblichen Erscheinungsformen des Verbrechens und deren Bestrafung können schlechterdings nicht gefunden werden. Jede gegen die Angeklagten ausgesprochene Strafe kann letztlich immer nur symbolischen Charakter tragen, zumal nicht ausser Betracht gelassen werden kann, dass sie wegen Taten verhängt werden muss, die ca. zweieinhalb Jahrzehnte zurückliegen.

 

Die hervorzuhebende, einem Vergleich nicht zugängliche Eigenart der von den Angeklagten begangenen Mordbeihilfe besteht darin, dass ihre Handlungsweise durch die widerlichen und abscheulichen Gesamtumstände der Enterdungsaktion zwar einen äusserlich besonders schlimmen und üblen Anstrich erhält, dass ihr in Wahrheit aber immer noch ein Rest von Verständnis entgegengebracht werden kann, wie es der vorausgegangenen eigentlichen Massenvernichtung, die vor Greisen, Frauen und Kindern nicht Halt machte, ganz zu versagen ist. Immerhin stecken im Gegensatz zu solchen Greueln hinter der Erschiessung der bei den Enterdungen eingesetzten Häftlinge auch Beweggründe, die menschlicher Wesenswert