Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.701a LG Stuttgart 13.03.1969 JuNSV Bd.XXXI S.697

 

Lfd.Nr.701a    LG Stuttgart    13.03.1969    JuNSV Bd.XXXI S.791

 

unwiderlegt mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben bedroht und demnach in einer dem §52 StGB entsprechenden Zwangslage (Putativnötigungsnotstand).

 

Damit durfte er sich freilich noch nicht ohne weiteres an den Tötungen der Zwangsarbeitskräfte beteiligen und den Gewissenskonflikt sozusagen auf sich beruhen lassen. Der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit, der den Notstandsbestimmungen zugrunde liegt, erlaubt grundsätzlich keine Handlung, die zur Vernichtung des Lebens anderer führen muss, solange auch nur eine nicht fernliegende Möglichkeit besteht, die dem Täter drohende Gefahr auf andere Weise abzuwenden (BGH Urt. 5 StR 353/54 vom 14.12.1954). Den Anforderungen, die an den Angeklagten insoweit gestellt werden müssen, hat er jedoch nach Auffassung des Gerichts genügt. Eine offene Befehlsverweigerung aus Gewissensgründen war unzumutbar, weil zu gefährlich. Die Abmeldung zu anderen Einheiten musste ihm schliesslich aussichtslos erscheinen, nachdem er, wie nicht ausgeschlossen werden kann, die Erfahrung gemacht hatte, dass seine zweimaligen Bemühungen wegzukommen, trotz - angeblicher - Einschaltung so hoher SS-Führer wie Streckenbach erfolglos geblieben waren. Helfsgott musste - wovon zu seinen Gunsten auszugehen ist - gerade dies als Beweis dafür gelten, dass sein Dienst bei dem Sonderkommando 1005 B im Raume Riga absoluten Vorrang hatte. Hinzu kommt, dass in jener Endphase des Krieges persönliche Veränderungswünsche von vornherein wenig Aussicht auf Erfolg hatten. Dass er sich Dr. Lange, Radomski oder gar Blobel nicht offen zu stellen wagte, kann bei deren persönlichen Eigenschaften, ihrem kompromisslosen Eintreten für die nationalsozialistische Sache sowie überhaupt ihrem besonderen Engagement in der Judenfrage und damit zusammenhängend der Aktion 1005 nicht verwundern; der Angeklagte durfte sich mit Recht sagen, dass er bei diesen fanatischen SS-Führern auf gütlichem Wege mehr, als ihm Dr. Lange möglicherweise schon zugestanden hatte, nicht erreichen werde. Das Vortäuschen einer Krankheit oder eines seelischen Zusammenbruchs konnte von Helfsgott, der dies unwiderlegt allerdings einmal erfolglos versucht haben will, grundsätzlich nicht verlangt werden. Insoweit schliesst sich das Gericht im Hinblick auf die Persönlichkeit Dr. Langes und auf die besondere Situation bei den Enterdungskommandos der vom BGH im Urteil - 5 StR 540/64 - vom 5.1.1965 434 geäusserten Ansicht an, dass es einem Befehlsempfänger nicht zuzumuten gewesen ist, Krankheit oder seelischen Zusammenbruch vorzutäuschen, weil solche Verstellungen allzuleicht hätten durchschaut werden können und daher zu gefährlich gewesen wären. So blieb dem Angeklagten nur noch der Versuch, sich möglichst um die Teilnahme an den Häftlingserschiessungen zu "drücken" und nur das unumgänglich Nötige zu tun.

 

Es war nicht zu widerlegen, dass Helfsgott stets danach gehandelt hat. Es scheint so, als habe er bei den Erschiessungen möglichst grossen Abstand vom eigentlichen Exekutionsplatz gehalten und sich hauptsächlich um die äussere Absperrung des Geländes gekümmert. Nach alledem lässt sich nicht ausschliessen, dass Helfsgott den Befehlen allein deshalb gefolgt ist, weil er andernfalls an eine gegenwärtige Gefahr für sein Leben geglaubt hat. Die ihm zuzumutenden Ausweichmöglichkeiten hat er unwiderlegt genutzt. Sonach liegen bei ihm die Voraussetzungen des Nötigungsstandes des §52 StGB in der putativen Form vor. Die vorsätzliche Beteiligung Helfsgotts an den Tötungshandlungen wird dadurch entschuldigt. Er war deshalb mangels ausreichenden Schuldnachweises freizusprechen.

 

IX. Strafzumessung und Kostenentscheidung

 

1. a) Wenn auch die Angeklagten Soh. und Zie. auf Befehl gehandelt haben, war ihr Verschulden auf keinen Fall so gering zu veranschlagen, dass von ihrer Bestrafung gemäss §47 Abs.II MStGB hätte abgesehen werden können. Allerdings war - unbeschadet der

 

434 Siehe Lfd.Nr.627.