Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.788

 

Dass der Zeuge Ri. ein besonders glaubwürdiger Zeuge ist, wurde oben bereits ausgeführt. Auch vorliegend hat das Gericht keine Bedenken, dass der Zeuge nach bestem Wissen ausgesagt hat, was er in seiner Erinnerung hat.

 

Der Zeuge So., zur Tatzeit SS-Blockführer in Hinterbrühl, hat bekundet, dass er in der Nacht vom 31.3. zum 1.4.1945 "Jourdienst" am Lagereingang gehabt und hierbei beobachtet habe, wie an einer Grube, die schon einige Zeit vorher ausgehoben worden sei, gearbeitet wurde. Auch habe er in der Nacht mehrere Schüsse gehört. Am nächsten Morgen habe er von Bühner einen Zettel erhalten, nach dessen Inhalt 50 Häftlinge als verstorben gemeldet wurden. Während des Rückmarsches habe er dann Dr. Kra. gefragt, was sich in der Nacht zum 1.4.1945 abgespielt habe. Dieser habe ihm erklärt, dass Streitwieser in der Nacht zu ihm gekommen sei und ihm befohlen habe, dass die marschunfähigen Häftlinge durch Benzininjektionen zu töten seien; es seien keine Transportmittel für sie vorhanden. Er - der Zeuge 141 - habe sich geweigert, bei der Durchführung der Tötungen mitzuwirken. So seien schliesslich die Revierkranken durch Gös. getötet worden.

Der Zeuge So. hat auf das Gericht keinen schlechten Eindruck gemacht. Er ist einer derjenigen SS-Zeugen, die mit den Zuständen in Hinterbrühl nicht identifiziert werden können und die mit den Häftlingen in einem guten Kontakt standen (auch er wurde erst gegen Kriegsende von der Luftwaffe zur SS-Bewachung gezogen). Er hat im übrigen ein ausgezeichnetes Detailgedächtnis bewiesen und hat mit Belastungen des Angeklagten zurückgehalten. Das Gericht hatte nach dem Gesamteindruck des Zeugen die sichere Überzeugung, dass er nach bestem Wissen das in seiner Erinnerung stehende bekundet hat.

 

Der Zeuge Laf., zur Tatzeit Häftling in Hinterbrühl hat schliesslich bekundet, ihm sei während des Rückmarsches durch den Zeugen Dr. Jou. erzählt worden, dass auf Befehl des Lagerkommandanten in der Nacht zum 1.4.1945 alle im Revier befindlichen Häftlinge durch Benzininjektionen getötet worden seien.

Der Zeuge Laf. hat zwar in seiner Gesamtaussage sehr unsicher gewirkt und musste sich hierbei ständig seiner Notizen bedienen. Auch hat er - wie unter D II 5 noch näher ausgeführt wird - den Angeklagten in einem bestimmten Einzelgeschehen objektiv zu Unrecht belastet; doch hatte das Gericht nicht den Eindruck, als ob der Zeuge bewusst die Unwahrheit zu Lasten des Angeklagten bekundet hätte, sondern an die Richtigkeit seiner Schilderung glaubt. Im vorliegenden Fall hat das Gericht der Aussage des Zeugen, soweit sie mit der Bekundung anderer Zeugen übereinstimmt, zumindest eine unterstützende Bedeutung beigemessen.

 

Aufgrund der Aussagen der genannten Tatzeugen in Verbindung mit den Aussagen derjenigen Zeugen vom Hörensagen, die unmittelbar von Tatzeugen über den Geschehensablauf unterrichtet worden sind, ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts, dass der Angeklagte Streitwieser in seiner Funktion als Lagerführer für eine strikte und unbarmherzige Durchführung des Tötungsbefehls Sorge getragen hat. Zwar ergibt die sorgfältige Würdigung des Inhalts der einzelnen Aussagen einige Widersprüchlichkeiten, die aber ihre Erklärung darin finden, dass die verlesenen Aussagen jeweils aus verschiedenen Anlässen und in verschiedenen Strafverfahren gemacht wurden, wobei sich der Schwerpunkt der Aussagen zwangsläufig nach der Person des gerade Beschuldigten ausrichten musste, die Person anderer Beteiligter dagegen vernachlässigt wurde (so hat beispielsweise Dr. Jou. bei seiner Aussage im Bühner-Verfahren die unmittelbare Tatbeteiligung Bühners in den Vordergrund gestellt und die des Angeklagten Streitwieser vernachlässigt).

 

141 Gemeint ist hier wohl der Zeuge Dr. Kra. und nicht der Zeuge So.