Justiz und NS-Verbrechen Bd.VIII

Verfahren Nr.260 - 297 (1950 - 1951)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

 

Lfd.Nr.295 LG Stuttgart 25.10.1951 JuNSV Bd.VIII S.785

 

Lfd.Nr.295    LG Stuttgart    25.10.1951    JuNSV Bd.VIII S.787

 

worden sind. Das französische Tribunal hatte auch keine weitere Veranlassung, Einzelfälle eingehend zu untersuchen, da die Verurteilung gem. Art.II 1c des Kontrollratsgesetzes Nr.10 erfolgte, das einen dem deutschen Recht unbekannten Begriff des Massendelikts enthält. Die Einzeltat geht hier in der Gesamtheit der strafbaren Handlungen unter, und die allgemeine Feststellung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit ist als solche erforderlich und ausreichend, ohne dass es notwendig auf die Untersuchung des Einzelfalles ankäme. Das französische Militärgericht hat daher generell wegen der Ausschreitungen der Wachmannschaften des Arbeitserziehungslagers Aistaig während der ganzen Zeit des Bestehens dieses Lagers die entsprechenden Strafen verhängt. Es war somit auch bezüglich des Angeklagten R. festzustellen, dass die nunmehr zur Aburteilung stehenden Straftaten Einzeltaten eines Gesamtkomplexes sind, wegen dessen gegen den Angeklagten bereits ein durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenes Verfahren durchgeführt worden ist.

 

Bei der Prüfung der Frage, ob der Grundsatz "ne bis in idem" über den §7 StGB hinausgehend auch im Verhältnis der Gerichtsbarkeit der Besatzungsmächte zur deutschen Gerichtsbarkeit Anwendung findet, hat sich das Schwurgericht den Urteilen des OLG Frankfurt (NJW 1949 S.878) und des OLG Hamburg (MDR 1949 S.54) angeschlossen. Das französische Militärtribunal ist im vorliegenden Fall, in dem es mit dem Schutz der Besatzungsmacht zugleich auch Interessen der deutschen Zivilbevölkerung wahrgenommen hat, nicht als ausländisches Gericht i.S.d. §7 StGB anzusehen, sondern als innerdeutsches Sondergericht, dessen Zuständigkeit sich auf völkerrechtliche Normen gründet. Die Anwendung des Grundsatzes "ne bis in idem" hängt deshalb davon ab, inwieweit das Militärgericht in seinem Verfahren den Fall erschöpfend erledigen wollte.

 

Dies war im vorliegenden Fall hinsichtlich der angeklagten Straftaten, die sich auf körperliche Misshandlung, Gesundheitsschädigung und Freiheitsberaubung von Häftlingen beziehen, zu bejahen, da diese, wie sich aus der Urteilsbegründung ergibt, im Rahmen des Massendelikts nach dem Kontrollratsgesetz Nr.10 vom Militärgericht behandelt worden sind. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass im Tenor dieses Urteils nur von alliierten Staatsangehörigen die Rede ist. Damit sollte offenbar nur die ausschliessliche Zuständigkeit des Besatzungsgerichts begründet werden; denn in der französischen Besatzungszone konnte auch das deutsche Gericht zur Aburteilung des Angeklagten ermächtigt werden, wenn es sich um Taten Deutscher gegen Deutsche gehandelt hätte.

 

Mit der Frage, ob das französische Urteil auch etwaige Tötungsdelikte des Angeklagten rechtskräftig erledigt hat, brauchte sich das Schwurgericht aus tatsächlichen Gründen nicht zu befassen. Zwar ist wegen Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil des Arbeiters Missner angeklagt und eröffnet worden, die Staatsanwaltschaft hat aber diese Anklage in der Hauptverhandlung fallen lassen und auch in diesem Falle nur wegen Körperverletzung mit gefährlichem Werkzeug die Verurteilung des Angeklagten beantragt. Das Schwurgericht war auf Grund der Beweisaufnahme mit dem Anklagevertreter der Auffassung, dass dem Angeklagten der ursächliche Zusammenhang zwischen der Misshandlung des Missner und dessen Tode nicht nachzuweisen ist. Dabei konnte dahingestellt bleiben, ob durch die Aussagen der Zeugen C. und N. als der beiden einzigen Tatzeugen überhaupt die Beteiligung des Angeklagten an der Misshandlung des Missner erwiesen ist. Jedenfalls lässt sich nicht feststellen, dass der Tod des Missner ursächlich auf die Misshandlungen durch den Angeklagten und seine Mittäter zurückzuführen ist. Zwar bekunden C. und N. übereinstimmend, Missner sei nach den Schlägen, die der Angeklagte mit einem Farrenschwanz gegen den Kopf geführt habe, zusammengebrochen und bis zum Morgen bewegungslos liegengeblieben. Keiner der beiden Zeugen will sich aber von dem Tod des Missner überzeugt oder auch nur beobachtet haben, dass andere eine solche Feststellung trafen. Sie wollen auch nicht gehört haben, dass Missner nach dem Niedergeschlagenwerden noch irgendeinen Laut, sei es ein Stöhnen, oder sei es ein Röcheln, von sich gegeben habe. Es soll sich auch keiner der 40 Stubeninsassen irgendwie um den auf dem Boden liegenden Missner gekümmert haben. Diese Darstellung des Todes des Missner erschien dem Schwurgericht als so wenig glaubhaft, dass nicht festgestellt werden konnte, dass Missner infolge einer Körperverletzung