Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.786

 

als Beschuldigter ausgesagt, (BA Altfuldisch, Bd.IV, Bl.71-74a, verlesen gem. §251 StPO), dass etwa um 5.30 Uhr oder 6.00 Uhr am Tage vor dem Evakuierungsmarsch der Lagerführer Streitwieser und der Rapportführer Bühner in das Lazarett gekommen seien und nach dem Arzt gerufen hätten. Der Zeuge habe mit Dr. Kra. im Korridor gestanden und Streitwieser und Bühner hätten sie dort stehen sehen. Bühner habe daraufhin gesagt, dass alle Häftlinge des Lazarettes durch Injektionen getötet werden müssten. Dr. Kra. und er - Gös. - seien erstarrt gewesen und hätten sich gegenseitig angesehen. Dann habe Dr. Kra. gesagt: "Herr Lagerführer, so können wir nicht reden." Daraufhin habe der Lagerführer gesagt: "Ich will nichts mehr davon hören. Es ist mein Befehl und Sie wissen, wer hier Befehle gibt." Danach hätten sich Streitwieser und Bühner umgedreht und seien weggegangen. Er - Gös. - habe zum Arzt gesagt, er werde zum SDG Hof. gehen. Daraufhin habe Dr. Kra. gesagt, man könne vielleicht Dr. Plettig rufen. Als er - Gös. - etwa 50 Meter vom Lazarett entfernt gewesen sei, habe er den SDG Hof. getroffen und ihm gesagt, dass er gerade zu ihm kommen wollte. Dieser habe erklärt, dass er sich vorstellen könnte, warum Gös. ihn sprechen wollte und dass er - der SDG - aus demselben Grunde gekommen sei. Der SDG sei dann zusammen mit Gös. in den Arzneimittelraum gegangen, in dem sich Dr. Kra. und andere Ärzte versammelt hätten. Dort habe Gös. dem SDG gesagt, was der Rapportführer befohlen habe. Der SDG habe erklärt: "Mir ging es genauso, und ich wurde nur gefragt, ob ich als Soldat wüsste, was ein Befehl ist." Er - der Zeuge - habe dann das Revier für einige Zeit verlassen, und als er zurückgekommen sei, habe ihm Dr. Kra. erklärt, dass der SDG dem Krankenpfleger Sas. den Auftrag erteilt habe, die Abspritzungen vorzunehmen. Danach habe er - der Zeuge - befehlsgemäss die medizinischen Instrumente, die in das Hauptlager Mauthausen zurückgebracht werden sollten, eingepackt. Gegen Mitternacht sei er in das Revier zurückgekommen. Zu dieser Zeit sei die Tötungsaktion bereits im Gange gewesen. Sas. habe die Injektionen in Gegenwart des gesamten Revierpersonals gegeben. Er - der Zeuge - habe auf Bitten eines russischen Mediziners geholfen, einige der Getöteten aus dem Revier zu tragen. Auch Bühner sei einmal für etwa 20 Minuten im Revier erschienen und habe sich den Vorgang der Tötungen angesehen.

 

Das Gericht hat auch der Aussage dieses Zeugen keinen Beweiswert beigemessen, soweit er den Angeklagten belastet. Der Zeuge befand sich bei seiner damaligen Beschuldigtenaussage in einer ähnlichen Situation wie der Zeuge Sas. Ihm musste es darauf ankommen, sich selbst weitgehend vom Tatvorwurf der Mithilfe zur Ermordung der Revierkranken zu entlasten. So hat er mit Sicherheit die Unwahrheit gesagt, soweit er seine eigene Tatbeteiligung geschildert hat. Der Zeuge hat nicht die Toten aus dem Revier getragen, sondern - wie alle anderen Zeugen übereinstimmend bekunden - die noch lebenden Häftlinge zum Tatort gebracht und sie dort während der Injektionen festgehalten. Unter diesen Umständen konnte auch der übrigen Aussage zur Vorgeschichte der Tötungen kein Beweiswert beigemessen werden, wenngleich sie insoweit in manchen Einzelheiten mit den Aussagen anderer glaubwürdiger Zeugen übereinstimmt. Die Motivation des Zeugen, andere Personen - u.a. auch den Angeklagten als die höchste Lagerautorität - zu seiner eigenen Entlastung in das Tatgeschehen miteinzubeziehen, liegt zu nahe, als dass man der Aussage irgendeinen Beweiswert beimessen könnte.

 

Der verstorbene Zeuge Dr. Jou., zur Tatzeit Häftlingsarzt im Revier von Hinterbrühl, hat zum Tatgeschehen in mehreren Verfahren zeugenschaftliche Aussagen gemacht und schriftliche Erklärungen abgegeben, die in vorliegendem Strafverfahren gem. §251 StPO verlesen worden sind (schriftliche Erklärung vom 10.5.1945 in Mauthausen, Bd.10 S.1849; polizeiliche Aussage vom 11.3.1948 in dem österreichischen Strafverfahren gegen Sas. u.A., Bd.47, Bl.9436 ff.; richterliche uneidliche Aussage in dem französischen Strafverfahren gegen Bühner vom 6.1.1950, BA. Bühner, Bd.I Bl.302 ff.; polizeiliche Vernehmung in dem französischen Ermittlungsverfahren gegen Streitwieser vom 10.7.1951 BA Bühner I, Bl.106 ff.). Der übereinstimmende wesentliche Inhalt dieser Aussagen ist der folgende: Kurz vor dem Rückmarsch habe er vom SDG Hof. den Befehl erhalten, eine Liste der