Justiz und NS-Verbrechen Bd.VIII

Verfahren Nr.260 - 297 (1950 - 1951)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

 

Lfd.Nr.295 LG Stuttgart 25.10.1951 JuNSV Bd.VIII S.785

 

Lfd.Nr.295    LG Stuttgart    25.10.1951    JuNSV Bd.VIII S.785

 

Ks 9/51

 

Im Namen des Volkes

 

 

Strafsache gegen

 

den am 13.Juli 1898 in Stuttgart geb., ebendort wohnhaften verh. Hausmeister R.,

 

wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.

 

Das Schwurgericht in Stuttgart hat in der Sitzung vom 22. und 25.Oktober 1951 für Recht erkannt:

 

Das Verfahren wird unter Übernahme der Kosten auf die Staatskasse eingestellt.

 

 

GRÜNDE

 

Der Angeklagte ist am 13.7.1898 in Stuttgart als Sohn eines Hausmeisters geboren. Er besuchte in Stuttgart 7 Jahre die Volksschule und erlernte anschliessend das Goldschmiedehandwerk, das er bis zu seiner Einziehung zum Wehrdienst während des Weltkriegs 1914-1918 ausgeübt hat. Nach seiner Entlassung aus dem Heeresdienst 1918 war der Angeklagte 3 Jahre als Kassenbote bei der Kassenverwaltung des Versorgungskrankenhauses in Stuttgart tätig, anschliessend war er bei der Fa. Gebr. Waldbaur in Stuttgart zunächst als Pförtner und später als Lagerverwalter beschäftigt. Im April 1939 kam er als Hausmeister zu der Fa. Emil Meyer in Stuttgart. Im Jahre 1941 wurde er als Wachmann in das Arbeitserziehungslager Aistaig bei Oberndorf/Neckar notdienstverpflichtet. Zu Beginn des 2.Weltkriegs im Jahre 1939 war er zur Wehrmacht eingezogen worden.

Der Angeklagte ist seit dem Jahre 1935 verheiratet und hat einen Sohn im Alter von 14 Jahren. Sein Einkommen bei der Fa. Emil Meyer beläuft sich auf monatlich 275 DM brutto. Vorbestraft ist der Angeklagte nicht.

 

Von der Geheimen Staatspolizei war im Jahre 1941 in Kniebis im Schwarzwald ein Arbeitserziehungslager eingerichtet worden, das der Aufnahme solcher Personen dienen sollte, die vom nationalsozialistischen Regime als vertragsbrüchig, arbeitsscheu oder asozial angesehen wurden. Es war vorgesehen, dass die in dieses Lager eingewiesenen Häftlinge durchschnittlich höchstens auf die Dauer von 8 Wochen im Lager bleiben sollten und sodann je nach Lage der einzelnen Fälle an ihre früheren Arbeitgeber zurückverwiesen, oder dem Arbeitsamt Oberndorf zur Vermittlung einer anderen Arbeitsstelle überstellt oder zu der Gestapo nach Stuttgart verschubt werden sollten.

Bei Einbruch des Winters wurde das Lager Kniebis nach Aistaig verlegt. Leiter dieses Lagers war von dessen Errichtung bis zur Auflösung im April 1945 der inzwischen verstorbene Zeuge Ra., der als Kriminalbeamter im Jahre 1936 zur Gestapo abkommandiert worden war. Stellvertretender Lagerleiter war von 1942-1944 der inzwischen ebenfalls verstorbene Polizeiwachtmeister H. In dem Lager Aistaig war eine Anzahl notdienstverpflichteter Personen, darunter auch der Angeklagte als Wachleute tätig. Dem Stammpersonal des Lagers gehörten die politischen Häftlinge Stegmaier und Ernewein an, die dort als Schneider bzw. Sanitäter tätig waren. Lagerarzt war der Zeuge Dr. W., der gleichzeitig in Oberndorf eine Privatpraxis ausübte.