Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.783

 

Der Angeklagte hat von jeher den konkreten Vorwurf, er habe Dr. Bresler erschossen, bestritten und gemeint, der Arzt habe bis zum Aufstand gelebt. Während er es früher bei diesem eher schlichten Bestreiten belassen hat, hat er in der jetzigen Hauptverhandlung wiederholt erklärt, Dr. Bresler habe den Aufstand überlebt, er habe sich dabei sogar um Dub. 467 gekümmert gehabt, der schwer verletzt worden war. Gegen Ende der Beweisaufnahme hat der Angeklagte erklärt, mittlerweile sei ihm wieder eingefallen, dass Dr. Bresler sogar mitgefahren sei, als der schwerverletzte Dub. nach Chelm ins Krankenhaus transportiert worden sei. Was danach mit Dr. Bresler geschehen sei, entziehe sich seiner Kenntnis; er, der Angeklagte, sei damals nicht mitgefahren und Dr. Bresler sei auch nicht wieder ins Lager zurückgekommen; er, der Angeklagte, habe auch nichts mehr über sein weiteres Schicksal gehört.

 

Diese Einlassung des Angeklagten ist in ihrem Kern nicht zu widerlegen. Zwar erscheint es zunächst überraschend, dass Dr. Bresler nicht sogleich im Zuge der Bekämpfung des Aufstandes von den Deutschen genauso erschossen worden sein soll, wie es mit den anderen Juden geschehen ist, die nicht hatten flüchten können. Doch erscheint es immerhin vorstellbar, dass die Deutschen Dr. Bresler, unterstellt, er sei nicht ohnehin längst vorher getötet gewesen, zunächst haben überleben lassen, um dessen ärztliche Hilfe dafür in Anspruch zu nehmen, dass die eigenen Verletzten fachkundig versorgt werden konnten. Immerhin war in der Kürze sonst keine ärztliche Hilfe in dem Lager zu erhalten und zumindest Dub. war schwer verletzt worden. Dr. Bresler war auch durch seine vorhergehende ärztliche Tätigkeit den Deutschen bekannt, so dass es vorstellbar ist, dass sie ihn - gegebenenfalls unter Zwang - herangezogen haben, um noch für sie, die Deutschen, tätig zu werden. Der Umstand allein, dass der Angeklagte erst in diesem späten Verfahrensstadium die Einlassung so weit ausgedehnt hat, verwundert zwar, lässt aber keine Schlüsse dahin zu, die Darstellung sei zur Absicherung einer reinen Schutzbehauptung erfunden.

 

Die eigentliche Kernfrage der Beweisaufnahme ging demzufolge dahin, ob die Darstellung des Angeklagten mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit zu widerlegen und feststellbar sei, Dr. Bresler sei vor dem Aufstand, und zwar durch den Angeklagten, getötet worden. Die Aussagen des Zeugen Chaim Eng. reichen auf dem Hintergrund des übrigen Beweisergebnisses nicht aus, um der Kammer die Überzeugung zu vermitteln, der Angeklagte habe diese ihm vorgeworfene Tat begangen.

 

Der Zeuge Chaim Eng. hat in der jetzigen Hauptverhandlung bekundet: Die Baracken 22 bis 24 seien für die Kleidersortierung gewesen, da hätten die Frauen gearbeitet. 25 bis 27 seien die Magazinbaracken gewesen. Sein Arbeitsplatz sei eigentlich keine Baracke gewesen; vielmehr sei auf einem Platz unter einem grossen, auf Pfosten ruhenden Dach, nur mit einem Zaun eingezäunt, von ihnen sortiert worden. Der Zaun wäre ein mit Zweigen durchflochtener Stahlendraht gewesen. Da sei auch noch ein Tor zum grossen Feld hin gewesen. An dem Tor sei es gewesen, wo Frenzel den Dentisten Bresler in den Hinterkopf geschossen habe.

 

Nachdem er den Dentisten äusserlich etwa so beschrieben hat, wie es den Bekundungen der übrigen Zeugen entspricht, hat er erklärt, in seiner sicheren Erinnerung stehe der Vorgang des Totschiessens so, dass ihm in den Nacken hineingeschossen worden sei. Er wisse nicht, wo der gearbeitet habe. Es sei ein Zahnarzt gewesen; die Juden habe er allerdings wohl nicht als Zahnarzt behandelt; es habe ja eigentlich überhaupt keine medizinische Versorgung für die Arbeitsjuden gegeben. Er sei eben von ihnen Dentist gerufen worden. Er glaube nicht, dass es der Herkunft nach ein deutscher Jude gewesen sei. Eine besondere Rolle habe der im

 

467 Siehe Lfd.Nr.642.