Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.701a LG Stuttgart 13.03.1969 JuNSV Bd.XXXI S.697

 

Lfd.Nr.701a    LG Stuttgart    13.03.1969    JuNSV Bd.XXXI S.781

 

Motive, aufgrund deren die Gefangenen beseitigt wurden, einig. Die in den eigenen Reihen wachgewordene Furcht, schliesslich vielleicht selbst als Mitwisser des gesamten Geschehens umgebracht zu werden, kann sinnvoll sowieso nur damit erklärt werden, dass für alle Beteiligten der Zweck der Erschiessungen offenlag. Die in der durchaus unmenschlichen Haltung der beiden Angeklagten zum Ausdruck gekommene Interesselosigkeit und Stumpfheit gegenüber dem Fühlen und Leiden der Opfer offenbart in charakteristischer Weise, wie sehr sie selbst in der wahnhaften Überbewertung des eigenen "Herrenmenschentums" befangen waren und danach handelten. Überdies wird daraus völlig klar, dass Soh. und Zie. nicht nur von vornherein von der Auswahl der Arbeitshäftlinge nach rassischen Gesichtspunkten wussten, sondern deren Erschiessung gerade auch deshalb selbst guthiessen. Eventuell von einzelnen Gefangenen vor ihrer Ergreifung begangene Verfehlungen, die für todeswürdig angesehen werden konnten, konnten die Motivation der Angeklagten schon deshalb nicht beeinflussen, weil sie sich darum überhaupt nicht kümmerten.

 

Da die Angeklagten Soh. und Zie. zu jener Zeit zudem der festen Meinung waren, für ihre Mitwirkung an den Häftlingserschiessungen strafrechtlich niemals einstehen zu müssen, war davon auszugehen, dass auch dieses Gedankenelement noch mit zu den Gründen gehörte, das die Angeklagten zu ihrem unbekümmerten Tatverhalten veranlasst hat. Soh. brachte diese Auffassung mit den Worten: "Ich hätte nie gedacht, dafür jemals vor Gericht gestellt zu werden", klar zum Ausdruck. Wer aber Menschen skrupellos zu töten oder töten zu lassen bereit ist, weil er nicht glaubt, sich dafür verantworten zu müssen, handelt ebenso verächtlich und auf sittlich tiefster Stufe wie derjenige, der menschliches Leben um rassischer Vorurteile willen missachtet. Die Angeklagten handelten demnach selbst aus niedrigen Beweggründen.

 

Damit liegen auch in der Person der Angeklagten die besonderen persönlichen Merkmale, die die Strafbarkeit der Haupttäter aus den Mordqualifikationsmerkmalen "um eine andere Straftat zu verdecken" (vgl. inzwischen BGH NJW 69, 1725) und "aus niedrigen Beweggründen" (vgl. inzwischen BGH NJW 69, 1181) begründen, vor. §50 Abs.II StGB, der andernfalls eine obligatorische Strafmilderung vorgeschrieben und damit die im Zeitpunkt des Urteilsspruches geltende 20jährige Verjährungsfrist für Mord auf 15 Jahre verkürzt hätte, trifft sonach im vorliegenden Falle nicht zu (siehe bereits A 2).

 

d) Unrechtsbewusstsein

 

Beide Angeklagte handelten mit vollem Unrechtsbewusstsein. Soh. räumte ausdrücklich ein, dass er den Widerspruch zwischen dem ihm anbefohlenen Tun und seinem eigenen Rechtsgefühl empfunden hat, als er sagte, dass er den (die Arbeitshäftlinge betreffenden) Erschiessungsbefehl genauso wie den Gesamtbefehl über die "Endlösung" "in sich seinem Wesen nach" als Unrecht angesehen habe. Angesichts des normale Vorstellungen weit übersteigenden Unrechts, in welches die Angeklagten verstrickt wurden, lässt sich dies ohnehin kaum anders denken. Dass Zie. ein gleiches Zugeständnis nicht direkt macht, muss auf sein Gesamtverteidigungsvorbringen zurückgeführt werden und ist konsequent, nachdem er bis zuletzt glauben machen wollte, er habe nach seiner damaligen Meinung es nur mit todeswürdigen Partisanen zu tun gehabt. Immerhin gab auch er zu, dass er die Judenvernichtung als Unrecht erkannt hat. Demnach waren für ihn rassische Gesichtspunkte keine juristische Rechtfertigung für physische Vernichtung, wenngleich er geglaubt haben mag, darüber müsse man aus politischen Gründen in Zeit der "völkischen Not" eben wegsehen. Da festzustellen war, dass Zie. in Wirklichkeit sehr wohl gewusst hat, dass die Häftlinge auch aus rassischen Gründen ausgelesen und getötet wurden, kann er für sich hierfür auch keine juristische Rechtfertigung gefunden haben. Im übrigen ist es der Erkenntnis eines jeden Menschen, insbesondere aber der speziell geschulter Juristen, ohne weiteres zugänglich, dass Tötungen zum Zwecke der Beseitigung von Mitwissern über Verbrechen nicht rechtens sind.