Justiz und NS-Verbrechen Bd.VIII

Verfahren Nr.260 - 297 (1950 - 1951)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

 

Lfd.Nr.294c BGH 23.02.1951 JuNSV Bd.VIII S.780

 

Lfd.Nr.294c    BGH    23.02.1951    JuNSV Bd.VIII S.781

 

bewertet werden. Nach den Feststellungen des Schwurgerichts wurden die Gefangenen von dem Angeklagten und der ihm unterstellten Wachmannschaft auch ohne jede Veranlassung in grausamer Weise systematisch misshandelt und gequält. Schon diese allgemeinen Verhältnisse legen den Gedanken habe, dass das System der Grausamkeit auch bei der Tötung des Russen nicht verlassen worden ist, zumal, falls gegen ihn ein Anlass zu besonderem Einschreiten vorzuliegen schien. In der dürftigen Mitteilung des Tötungsvorgangs selbst, dessen erforderliche Gesamtdarstellung fehlt, deutet hierauf bereits der Umstand hin, dass der Russe völlig hilflos vor dem Angeklagten auf dem Boden lag und mit gerungenen Händen um Gnade bat. Es wird daher noch näher aufzuklären und zu erörtern sein, ob objektiv dem Opfer im Zusammenhang mit der Tötung über die Vernichtung seines Lebens hinaus ein Grauen und Abscheu erregendes Übel körperlicher oder seelischer Art zugefügt worden ist (vgl. OGHSt. 1, 99; 2, 181). Dass subjektiv der Angeklagte aus einer gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung heraus getötet hat, lassen die Feststellungen des Schwurgerichts bereits jetzt erkennen.

 

Des weiteren bedarf auch der Beweggrund, aus dem der Angeklagte getötet hat, weiterer Erörterungen und Klarstellung. Nach den Darlegungen des angefochtenen Urteils hat der Angeklagte den Gefangenen nicht deshalb getötet, weil dieser sich ihm etwa widersetzt hätte. Auch kann, wie das Schwurgericht feststellt, keine Rede davon sein, dass eine Meuterei unter den Russen ausgebrochen wäre oder der Angeklagte sich sonstwie im Stande der Notwehr befunden hätte. Soweit ersichtlich, nimmt das Schwurgericht als bestimmende Tatmotive den Machtrausch des Unteroffiziers und Lagerführers sowie den Einfluss der Kriegspropaganda an. Hiernach war die Tötungshandlung möglicherweise von dem Geltungsbedürfnis des Angeklagten sowie von der Vorstellung bestimmt, das Leben eines kriegsgefangenen Russen sei ein Nichts und könne, wie das eines Tieres nach Laune und Willkür vernichtet werden. Eine solche Motivierung müsste als niedrig bewertet werden, weil sie dem allgemeinen sittlichen Empfinden als verachtenswert und eines Menschen unwürdig erscheint (vgl. OGHSt. 2, 356).

 

Die Verurteilung des Angeklagten lediglich wegen Totschlags kann somit nach den bisherigen Feststellungen keinen Bestand haben.

 

2. Hinsichtlich der Verletzung der Obhutspflicht hat der Generalstaatsanwalt beim Obersten Gerichtshof für die britische Zone, bei dem das Revisionsverfahren zunächst anhängig war, die Revision zum Schuldspruch zurückgenommen. Der Schuldspruch aus §223b StGB ist somit rechtskräftig geworden und das Rechtsmittel insoweit auf den Strafausspruch beschränkt.

 

Zur Grundlage seiner Strafzumessung macht das Schwurgericht die Erwägung, dass dem Angeklagten trotz der Gefühllosigkeit und Roheit seines strafbaren Verhaltens mildernde Umstände zuzubilligen sind. Die Würdigung einer Reihe von Tatumständen hat das Schwurgericht zu der mit Rechtsgründen nicht angreifbaren Wertung veranlasst, dass der mildernde Strafrahmen des §228 StGB insgesamt dem Schuldgehalt der Tat angemessen sei.

Die Rechtsauffassung des Schwurgerichts, dass die Zubilligung mildernder Umstände gemäss §228 StGB auch bei dem in dieser Vorschrift nicht erwähnten Tatbestand des §223b StGB zulässig sei, unterliegt in Beziehung auf den Regelfall des §223b Abs.1 keinem Bedenken. Denn der durch das Gesetz zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften vom 26.Mai 1933 neu eingeführte §223b sollte den früheren §223a Abs.2 ersetzen und die Fassung des Gesetzes, wonach im §223a der zweite Absatz gestrichen und statt dessen §223b eingefügt wird (RGBl. I, 295/296), lässt keinen Zweifel daran, dass §228 StGB ebenso wie auf den weggefallenen §223 Abs.2 so auch auf den an seine Stelle getretenen §223b Anwendung finden soll (RGSt. 71, 363).

 

Auf Rechtsirrtum beruht zwar die vom Schwurgericht geäusserte Meinung, dass die Zubilligung mildernder Umstände selbst dann möglich sei, wenn gemäss §223 Abs.2 ein besonders schwerer Fall vorliege. Die von dem Schwurgericht nicht als verwirklicht angenommene, sondern nur hypothetisch erwogene Möglichkeit, dass es sich -