Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.780

 

4. Fall 22465

 

Der Angeklagte hat den Vorwurf stets bestritten, er habe bei einem Morgenappell einen Juden, der sich zuvor in der Baracke die Pulsadern geöffnet hatte, herausbringen lassen, den noch Lebenden beschimpft, weil er nicht selbst, sondern nur die Aufseher das Recht hätten, ihn zu töten, mit der Peitsche geschlagen und sodann an Ort und Stelle erschossen, und zwar angesichts der noch angetretenen übrigen Arbeitsjuden. Er hat allerdings eingeräumt, dass es mindestens einen Fall gegeben habe, in dem sich ein Jude, möglicherweise ein Holländer, die Pulsadern aufgeschnitten gehabt habe und in seiner Baracke gefunden worden sei. Er, der Angeklagte, habe seinerzeit den Morgenappell abgehalten; es könnte daher sein, dass Arbeitsjuden noch anwesend gewesen seien, als derjenige auf einer Trage aus der Baracke herausgeholt worden sei. Erschossen habe er denjenigen auf gar keinen Fall. Derjenige sei nämlich schon tot gewesen, als man ihn herausgeholt habe, und er sei deswegen gleich ins Lager III gebracht worden. Weiss und G. hätten den Juden mit ins Lager III genommen.

 

Es sei richtig, wie er in der Voruntersuchung erklärt habe, dass der zunächst nicht angetretene Jude zum Appellplatz geschafft werden musste, schliesslich habe man den Juden nicht einfach in der Baracke lassen können. Er hat seine Erklärungen in der Voruntersuchung und zu Beginn der Hauptverhandlung 1965, der Jude habe noch gelebt, sei aber nicht von ihm, sondern im Lager III erschossen worden, die Lagerleitung habe die Erschiessung veranlasst, in der jetzigen Hauptverhandlung wie auch schon gegen Ende der Hauptverhandlung 1966 nicht mehr für richtig gehalten, vielmehr erklärt, der Mann sei schon tot gewesen. Er habe eine Ansprache an die Arbeitsjuden nicht gehalten. Von ihm seien überhaupt derartige, ihm angelastete Erklärungen, nicht abgegeben worden. Er könne wenig dazu sagen, dass er in der Voruntersuchung noch für möglich gehalten habe, dass G. und nach ihm Weiss schon mal solche Äusserungen gemacht hätten.

 

Es sind von einer Vielzahl von Zeugen, die in der jetzigen Hauptverhandlung ausgesagt haben bzw. deren Aussagen verlesen worden sind, Erinnerungen darüber einfühlsam bekundet worden, dass Arbeitsjuden im Lager Selbstmord gemacht haben, weil sie offensichtlich die seelischen Belastungen, die von dem dort herrschenden Klima des Schreckens und den vielen Erlebnissen ausgingen, die sie täglich miterleben mussten, nicht mehr ertragen konnten. Die Aussagen sind jedoch weder für sich noch im Zusammenhang bewertet dergestalt, dass sie geeignet wären, Feststellungen zu treffen, die über das hinausgehen würden, was der Angeklagte selbst zu dem konkreten Vorwurf erklärt hat.

 

Der Zeuge Bah., auf den sich das Schwurgericht 1966 bei seinen Feststellungen im wesentlichen gestützt hat, hat in der jetzigen Hauptverhandlung nicht mehr seine frühere, den Angeklagten belastende Aussage aufrechterhalten. Bah. hat nur noch bekundet, dass 1943 der Selbstmordfall geschehen sei, und er hat geglaubt, sich auch noch zu erinnern, dass Frenzel sich sehr aufgeregt gezeigt und gesagt habe, dass keiner das Recht habe, sich selbst zu töten. Es sei wohl auch so gewesen, hat der Zeuge weiter bekundet, dass der Sterbende noch gepeitscht worden sei; ob das Frenzel oder ein Kapo ausgeführt habe, wisse er nicht. Er könne auch nicht sagen, wie der Mann geschlagen worden sei. An ein Erschiessen vor versammelter Häftlingsmannschaft habe er keinerlei Erinnerung mehr. Er wisse nur noch, dass der Jude in einer Decke in das Lager III gebracht worden sei. Auch wenn ihm aus seinen verschiedenen früheren Aussagen vorgehalten werde, damals bekundet zu haben, dass Frenzel den Sterbenden erschossen habe, komme ihm keine Erinnerung mehr an so etwas, wenn er auch allgemein sagen wolle, dass er sich auch früher bemüht habe, nur die Wahrheit zu sagen.

 

465 Siehe auch Bd.XXV S.134 f.