Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.780

 

jeweils festhielt, etwa 20 ccm Benzin in die Herzgegend. Bei einigen verfehlte die Spritze das Herz, und das Benzin drang in die Lunge. Diese Opfer erlitten einen besonders langen qualvollen Tod. Die Abgespritzten wurden, teils noch lebend, durch einen anderen Häftling, wahrscheinlich ein Russe namens "Alex", aus dem Revier getragen und dort von einem Leichenträgerkommando übernommen, dem u.a. die Zeugen Agu., Ru., Klo. und Mor. angehörten. Dieses trug die Leichen in zwei vorbereitete Gruben. Die Gruben wurden, nachdem alle 50 im Revier befindlichen Häftlinge getötet und hineingeworfen worden waren, durch ein Arbeitskommando unter der Führung des Zeugen Att. zugeworfen.

 

Der in diesen Umrissen von allen dazu vernommenen Tatzeugen übereinstimmend geschilderte Sachverhalt ist zur Überzeugung des Gerichts erwiesen. Einer näheren Beweiswürdigung bedarf es nicht. Es erscheint ausgeschlossen, dass die Zeugen übereinstimmend zum Tatverlauf etwas Falsches gesagt hätten, und ausserdem hat der Angeklagte selbst nicht bestritten, dass der Hergang bei den Tötungen anders gewesen wäre als er von den Zeugen bekundet wurde.

 

Die Einlassung des Angeklagten, er habe mit der Tötungsaktion nichts zu tun gehabt, vielmehr sei er nach seiner Hochzeit am 29.3.1945 vom Lagerkommandanten Ziereis zur Evakuierung seiner Familie beurlaubt worden; das Lager Hinterbrühl sei der Oberleitung von SS-Hauptsturmführer Schmutzler unterstellt worden; er - der Angeklagte - habe das Lager bis zum Eintreffen Schmutzlers dem SS-Oberscharführer Krulke übergeben; er habe infolge seiner Beurlaubung keinerlei Befehlsgewalt mehr besessen und so auch nichts zur Verhinderung der Tötung unternehmen können - diese Einlassung des Angeklagten ist aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Sinne der getroffenen Feststellungen widerlegt.

 

Zunächst ist die Einlassung in sich selbst unglaubhaft. Es ist zwar erwiesen, dass der Angeklagte am 29.3.1945 in Mauthausen seine jetzige Ehefrau geheiratet hat. Dies ergibt sich aus der von ihm in der Hauptverhandlung überreichten Heiratsurkunde vom 29.3.1945, die von dem Mitangeklagten Schul. als Standesbeamten unterschrieben worden ist. Das Gericht hatte keine Veranlassung, die Echtheit dieser Urkunde anzuzweifeln.

 

Ist es aber schon ganz unwahrscheinlich, dass der Kommandant Ziereis in der damaligen äusserst kritischen Situation der Rückführung der Wiener Nebenlager einem Lagerführer gerade für die Zeit der Evakuierung einen Urlaub gewährt hätte, so erscheint es noch unwahrscheinlicher, dass der Angeklagte einen solchen Urlaub - wenn er ihm gegen alle Erwartung doch gewährt worden wäre - nicht ausgenutzt, sondern sich plötzlich ohne einleuchtenden Grund entschlossen hätte, seine gerade angetraute Frau und sein Kind über die von rückflüchtenden Truppen überschwemmten Strassen alleine wegfahren zu lassen, "weil er sein Lager nicht im Stich lassen konnte". Eine solch fürsorgliche Einstellung gegenüber den Häftlingen, die hier darüberhinaus zu einer Gefährdung seiner eigenen Familie geführt hätte, entspricht nicht dem oben beschriebenen Charakterbild des Angeklagten.

 

Dass die Einlassung des Angeklagten als reine Schutzbehauptung anzusehen ist, wird u.a. auch daraus ersichtlich, dass er angesichts des eindeutigen Ergebnisses der Beweisaufnahme und der Ermittlungen im Vorverfahren gerade zu dieser Einlassung greifen musste, um sich von einer Verantwortung für die Tötung zu entlasten. Dass der Angeklagte nämlich am 30. und 31.3.1945 im Lager Hinterbrühl gewesen ist - und wie noch gezeigt werden wird - auch in den ersten Tagen des Rückmarsches anwesend war, wird von einer solchen Vielzahl von Zeugen bekundet, dass ein Leugnen insoweit ganz sinnlos gewesen wäre.

Da der Angeklagte andererseits dienststellenmässig Lagerführer von Hinterbrühl war und in dieser Stellung eine Mitverantwortung für die Tötung der seiner Fürsorge anvertrauten Häftlinge kaum zu leugnen imstande gewesen wäre, konnte ihm als einzig erfolgversprechende Verteidigung nur die Einlassung erscheinen, er sei trotz seiner persönlichen Anwesenheit