Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.526a LG Karlsruhe 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.69

 

Lfd.Nr.526a    LG Karlsruhe    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.78

 

Zunächst begann man mit einer Reihe gesetzgeberischer Massnahmen, die darauf abzielten, die Juden aus dem öffentlichen Leben und aus dem Wirtschaftsleben zu entfernen und dadurch zur Auswanderung unter Zurücklassung grosser Teile ihres Vermögens zu veranlassen: so z.B. durch Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1933 (RGBl. I, S.175 ff.); VO vom 22.4. und 2.6.1933 (RGBl. I, S.222 und 350), die die Zulassung jüdischer Ärzte, Zahnärzte und Zahntechniker bei den Krankenkassen beendeten; Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7.4.1933 (RGBl. I, S.188); Reichsbürgergesetz (Nürnberger Gesetze) vom 15.4.1935 (RGBl. I, S.1146) und dessen Verordnungen. Weiter waren der Isolierung der Juden innerhalb der Volksgemeinschaft zu dienen bestimmt das Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15.9.1935 (RGBl. I, S.1146 ff.), das die Eheschliessung von Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes sowie den Geschlechtsverkehr zwischen Personen der genannten Bevölkerungskreise verbot und Zuwiderhandlungen mit schweren Strafen bedrohte, wie auch z.B. die Verordnung über den Kennkartenzwang vom 23.7.1938 (RGBl. I, S.922) und die zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17.8.1938 (RGBl. I, S.1044).

 

Den gesetzlichen Verfolgungsmassnahmen wurde durch Gewaltakte gegen « die » jüdische Bevölkerung besonderer Nachdruck verliehen. Die Tötung des deutschen Legationssekretärs vom Rath durch den Juden Hershel Grynspan war den damaligen Machthabern ein willkommener Anlass, in der Nacht vom 9./10.11.1938 im gesamten Reichsgebiet unter der Führung örtlicher Parteiführer und sonstiger Funktionäre zu Willkür und Terrorakten gegenüber den Juden zu schreiten.

In dieser sog. Reichskristallnacht wurden durch den von Partei und Staat gelenkten Pöbel zahlreiche Angehörige der jüdischen Bevölkerung ermordet und misshandelt und ihre Geschäfte und Wohnungen demoliert und geplündert. In diesem Attentat sah die nationalsozialistische Regierung zugleich eine ebenfalls willkommene Gelegenheit, die Entrechtung der Juden durch weitere gesetzgeberische Massnahmen zu vervollständigen und ihre Vertreibung aus dem Reichsgebiet zu beschleunigen: So z.B. VO vom 7.4.1939 (RGBl. I, S.425), die die Juden von der Erfüllung der Wehrpflicht und Arbeitsdienstpflicht ausschloss und die 10. VO zum Reichsbürgergesetz vom 4.7.1939 (RGBl. I, S.1097 ff.), durch die die Juden in einer dem Reichssicherheitshauptamt unterstehenden Reichsvereinigung zwangsweise zusammengeschlossen wurden, um sie aus dem Reichsgebiet zu verdrängen.

Die Entrechtung und Blossstellung der Juden schritt immer mehr fort. Nach Beginn des 2.Weltkrieges wurden sie durch die Polizeiverordnung vom 1.9.1941 (RGBl. I, S.547) in ihrer Freizügigkeit innerhalb des Reichsgebietes beschränkt und gezwungen, vom 6. Lebensjahr ab in der Öffentlichkeit den Judenstern zu tragen. Ihre Arbeitsverhältnisse wurden in Beschäftigungsverhältnisse besonderer Art umgewandelt (VO vom 31.10.1941, RGBl. I, S.681 ff.). Es wurde ihnen verboten, öffentliche Fernsprechzellen, öffentliche Verkehrsmittel, elektrische Geräte, Fahrräder, Schreibmaschinen usw. zu benutzen. In Strafsachen durften sie kein Rechtsmittel mehr einlegen. Schliesslich wurden nach der 13. VO zum Reichsbürgergesetz vom 1.7.1943 (RGBl. I, S.372) strafbare Handlungen von Juden nicht mehr durch die ordentlichen Gerichte, sondern durch die Polizei geahndet; auch verfiel nach dem Tod eines Juden sein ganzes Vermögen dem Reich.

 

Nach der anfangs nur angestrebten Entrechtung und Vertreibung der Juden aus Deutschland wurde sodann von den Machthabern des NS-Gewaltregimes die radikale Vernichtung, die Ausrottung der Juden innerhalb ihres Machtbereiches ernsthaft erwogen und bald beschlossen. Ihre Anfangserfolge im 2.Weltkrieg hatte die Staatsführung dazu noch ermutigt. Im Zuge der Durchführung der beschlossenen "Endlösung der Judenfrage" gab der Feldzug gegen die Sowjetunion Hitler und seiner näheren gleichgesinnten Umgebung, im besonderen Himmler und Heydrich, Gelegenheit, zunächst zur Ausrottung der jüdischen Bevölkerung Osteuropas zu schreiten. Der Plan wurde jedoch vorerst noch geheimgehalten, wie auch seine spätere Ausführung und die dazu erforderlichen Anordnungen als "Geheime Reichssache" behandelt wurden. Für die Ausführung dieser Massenvernichtung sah man in erster Linie die bereits bei der Besetzung