Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.779

 

Die Zeugin hat, wie schon erwähnt, in einer ganzen Reihe von Einzelpunkten innerhalb ihrer vielen Vernehmungen wiederholt Ereignisse als selbst erlebt dargestellt, die sie, bei Zugrundelegung ihrer eigenen Angabe, erst im Dezember 1942 nach Sobibor verbracht worden zu sein, nicht erlebt haben kann (Biala-Podlaska- und Majdanek-Transport, Hund Barry, wie jener auf jüdische Menschen gehetzt worden sei), Geschehnisse, die schon im Sommer, allenfalls Herbst 1942 abgeschlossen waren. Diese Unrichtigkeiten, zu denen andere viele Ungereimtheiten und Widersprüche in ihrer gesamten Aussageentwicklung kommen, - wie etwa, dass sie in ihren verschiedentlichen Vernehmungen bekundet hat, nur einmal, dann zweimal, schliesslich einige Male, jetzt wieder nur einmal in dem Haus an der Rampe bei der Ankunft von Transporten gewesen zu sein, wobei äusserst zweifelhaft erscheinen muss, dass und dazu es noch wiederholt vorgekommen sein kann, nicht mit der Ausladung beschäftigte Arbeitshäftlinge auch nur in der Nähe der Rampe zu belassen - zeigen, dass der persönliche Eindruck von der Zeugin, der sich dahingehend zusammenfassen lässt, dass sie sich - subjektiv - sicher ist, die Tat des Angeklagten Frenzel zutreffend zu schildern, nicht genügend überzeugend ist, um auf dieses alleinige Beweismittel dann entsprechende Feststellungen zu gründen. Es ist nicht auszuschliessen, dass sie, ohne noch trennen zu können, die Darstellung über den Fall in den letzten zwei Jahrzehnten so verinnerlicht hat, dass diese die ursprüngliche Erinnerung völlig überdeckt hat.

 

Auch wenn die Zeugin schon im Bauer- und im ersten G.-Verfahren mit ihren Aussagen, ähnlich wie im Verhältnis zum Angeklagten Frenzel, seinerzeit eine teilweise bedenkliche Neigung zu leichtfertiger Belastungstendenz gezeigt hat, erscheint sie zwar der Kammer auch bei Berücksichtigung einiger feststellbarer Widersprüchlichkeiten, zweifelhafter Aussagedetails und einiger vor allem in frühen Aussagen gezeigter - objektiver - Unrichtigkeiten, nicht als schlechthin unglaubwürdig. Auch wenn es ihr nicht, wie etwa dem Zeugen Samuel Ler., gelungen ist, zu einer distanzierten, sachlichen Einstellung zu den damaligen Geschehnissen und den damals handelnden deutschen Wachmännern zu finden, lassen sich auch bei dieser Zeugin viele Hinweise in ihrer Aussage dafür finden, dass sie ihre Darstellung insgesamt kritischer als in frühen Vernehmungen überprüft und sich bemüht hat, sich von konfabulierenden, ausschmückenden Darstellungen zu lösen. Als Unterstützung bei der kritischen Bewertung anderer Erkenntnisquellen kann diese Zeugin durchaus herangezogen werden und ist im Rahmen der Überzeugungsbildung berücksichtigt worden. Es haben sich zu dem Anklagefall 21 jedoch aus dem übrigen Beweisergebnis keine genügend konkreten, die Aussage der Zeugin Raa. wirklich unterstützenden Bekundungen ergeben.

 

So hat die Zeugin We. bei früheren Vernehmungen und in der hiesigen Hauptverhandlung ähnliche Fälle des Erschlagens eines Kindes für Wagner und G. berichtet. Die Zeugen Mar., Ler. und Biz., welche früher ganz allgemein über die Tötung von Kleinkindern unter ähnlichen Umständen, auch über Werfen von Kindern in die Loren durch Angehörige der Wachmannschaften berichtet haben, haben in der jetzigen Hauptverhandlung derartige Geschehnisse nicht mehr sicher erinnert, insbesondere aber ebenfalls Frenzel nicht damit sicher in Verbindung gebracht. Weitere Zeugen haben zwar vom Hörensagen über ähnliches berichtet, wie es diesem Einzelfall zugrunde liegt. Nachdem sie bei früheren intensiven Vernehmungen sich hierzu nicht geäussert haben, können diese Aussagen nicht einmal als Unterstützung herangezogen werden.

 

Nach alledem konnte der Angeklagte auch im vorstehenden Fall nicht sicher überführt werden und war daher - entsprechend auch dem Antrag der Staatsanwaltschaft - freizusprechen.