Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.701a LG Stuttgart 13.03.1969 JuNSV Bd.XXXI S.697

 

Lfd.Nr.701a    LG Stuttgart    13.03.1969    JuNSV Bd.XXXI S.779

 

c) Vorsatz und innere Einstellung

 

Bei der Feststellung des Vorsatzes der Angeklagten brauchte die alte Fassung des §211 StGB, nach der es auf die Überlegung des Täters ankam, nicht berücksichtigt zu werden. Seit dem 4.9.1941 (RGBl. I, 549) gilt §211 im wesentlichen in der heutigen Fassung.

 

Soh. und Zie. wussten und wollten, dass alles, was sie in ihrem jeweiligen Wirkungskreis zum Einsatz und Festhalten der bei den Enterdungen verwendeten Arbeitskräfte beitrugen, zwangsläufig zu deren von vornherein geplantem Tod führen würde. Dennoch wirkten sie bewusst auf diesen Erfolg hin mit. Sie unterstützten auch bewusst und gewollt ihre Untergebenen, indem sie ihnen durch Haltung und Auftreten den erforderlichen Rückhalt bei den Erschiessungen gaben. Die Angeklagten handelten also in Hinsicht auf die Tötung der Häftlinge mit direktem Vorsatz.

 

Für Soh. und Zie. war es, wie für alle beteiligten Zeugen, offenkundig, dass die Zwangsarbeiter getötet wurden, um Mitwisser über Art und Ausmass der von den Einsatzkommandos verübten Mordverbrechen zu beseitigen, mithin um diese früheren Verbrechen geheimzuhalten und zu verdecken. Gleichzeitig war ihnen bekannt, dass diese radikalste "Methode" zur Gewährleistung der Geheimhaltung und Verdeckung nur diejenigen "Geheimnisträger" traf, die man als rassisch minderwertig ansah. Die Angeklagten wussten daher, dass die Tötung der Häftlinge sowohl in der Verdeckungsabsicht als auch in der vermeintlich rassischen Minderwertigkeit der Opfer begründet war. Dabei zählten zu den rassisch Verachteten nicht nur, wenn auch in erster Linie, die Juden, sondern ebenso Angehörige des russischen Volkes. Dementsprechend bezeichnete Himmler in der am 4.10.1943 in Posen gehaltenen Rede die russischen Menschen als "Menschentiere", während er die Juden den Läusen gleichsetzte. Diese Einstellung der obersten NS-Führung war den Angeklagten vollauf geläufig. Das stand für das Gericht angesichts der politischen Laufbahn beider Angeklagten im NS-Staat ausser Frage. In den Massengräbern hatten sie zudem den schlagendsten Beweis vor sich, wie ernst es den NS-Gewalthabern mit diesen immer wieder gepredigten und propagierten rassepolitischen Vorstellungen war.

 

Für beide Angeklagte konnte es unter diesen Umständen gar nicht zweifelhaft gewesen sein, dass nicht nur die Absicht, Straftaten nach Art und Umfang zu verdecken, sondern auch Rassenverachtung die einander gegenseitig bedingenden Wurzeln für die Tötung der Arbeitshäftlinge waren.

 

Die Angeklagten Soh. und Zie. wussten aber nicht nur, dass ihre Auftraggeber in der Absicht, die verübten Gewaltverbrechen zu vertuschen, und zugleich aus Rassenverachtung handelten, sie liessen sich vielmehr bei ihrem Tatbeitrag selbst von diesen Motiven leiten. Ihre eingeschworene Treue zum Nationalsozialismus, der geschickte Appell der Verantwortlichen an eben diese Treue, der den Angeklagten die Mitwirkung bei dieser Sache als Auszeichnung und besonders verdienstvolle Aufgabe erscheinen liess, und die dafür in Aussicht gestellte Beförderung und Förderung machten es eindeutig, dass sich die Angeklagten das Anliegen ihrer Staatsführung, der sie sich verpflichtet fühlten und für deren Ruf und Ansehen sie sich als Angehörige der "Alten Garde" mitverantwortlich fühlten, zueigen machten und dementsprechend selbst wollten und wünschten, dass die Zeugnisse begangener Untaten vor der Weltöffentlichkeit und dem deutschen Volk weitmöglichst verborgen blieben. Es lag in dem ihnen eingewurzelten Begriff der Gefolgschaftstreue, in einer solchen Situation ihre Führer zu decken und zu schützen, und es lag in ihrem eigenen Interesse, den verbrecherischen Charakter eines Regimes zu verbergen, das sie selbst so lange und nachdrücklich unterstützt hatten. Daher verblieben dem Gericht keine Zweifel daran, dass die Angeklagten bei ihrem Tatverhalten selbst von der Absicht beherrscht waren, die Spuren der Massenexekutionen und damit die Beweise für begangene Verbrechen zu verwischen, und dass sie aus dieser Einstellung heraus auch die Erschiessung der Zwangsarbeitshäftlinge als