Justiz und NS-Verbrechen Bd.VIII

Verfahren Nr.260 - 297 (1950 - 1951)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

 

Lfd.Nr.294b LG Köln 22.05.1950 JuNSV Bd.VIII S.771

 

Lfd.Nr.294b    LG Köln    22.05.1950    JuNSV Bd.VIII S.778

 

nicht geklärt werden konnte, vorher eine Disziplinwidrigkeit oder strafbare Handlung hätte zuschulden kommen lassen. Der Angeklagte war unter keinen Umständen berechtigt, an dem Russen ohne weiteres eine derartige "Strafe" zu vollziehen. Das Vorgehen des Angeklagten wäre nur dann gerechtfertigt gewesen, wenn etwa eine Meuterei unter den Russen ausgebrochen wäre oder der Angeklagte sich sonstwie im Stande der Notwehr befunden hätte. Davon kann jedoch nach den getroffenen Feststellungen keine Rede sein. Der Angeklagte war nach Lage der Sache weder berechtigt noch genötigt, ein Menschenleben zu vernichten, zumal im Januar 1942, in einer Zeit, in welcher im Heimatkriegsgebiet, insbesondere im Westen, völlige Ordnung herrschte und dem Angeklagten sämtliche sonstigen Machtmittel zur Verfügung standen, um seinen Willen und seine Befehle durchzusetzen. Die Sachlage war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme so klar und eindeutig, dass der Angeklagte nach der Überzeugung des Schwurgerichts keinerlei Zweifel über die Unrechtmässigkeit seines Handelns gehabt hat oder haben konnte.

 

Das Schwurgericht erachtet daher als festgestellt, dass der Angeklagte vorsätzlich und rechtswidrig einen Menschen getötet hat. Dass er aus den im §211 StGB angeführten Motiven oder heimtückisch, grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln gehandelt hat, oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken konnte auf Grund des Ergebnisses der Hauptverhandlung nicht festgestellt werden. Der Angeklagte ist daher des Totschlages gem. §212 StGB schuldig.

Die Verjährung der Strafverfolgung, die evtl. bei dem festgestellten Vergehen gegen §223b StGB in Betracht gezogen werden müsste, ist durch die Verordnung vom 23.5.1947 225 und durch Art.III der VO der Militärregierung Nr.47 ausgeschlossen.

Der Angeklagte war daher unter Freisprechung im übrigen wegen Totschlags und wegen Verletzung der Obhutspflicht gegenüber Kriegsgefangenen gem. §212, 223b, 74 StGB zu bestrafen.

 

Bei der Strafzumessung war folgendes zu berücksichtigen.

Der Angeklagte ist ein nicht vorbestrafter ruhiger und ordentlicher Mann, der im guten Rufe steht und als fleissiger Arbeiter bekannt ist. Das Schwurgericht ist der Auffassung, dass dem Angeklagten seine Stellung als Unteroffizier und die ihm als Lagerführer zu Gebote stehende Macht zu Kopfe gestiegen waren. Ausserdem ist er offensichtlich dem Einfluss der unseligen Kriegspropaganda der damaligen Zeit erlegen. In seinem Machtrausch und unter dem Einfluss der Propaganda hat der Angeklagte, sonst ein ruhiger Mann, eine gewisse Gefühllosigkeit und Roheit in sich aufkommen und über sich Herr werden lassen.

Aus diesen Gründen hat das Schwurgericht dem Angeklagten noch einmal mildernde Umstände hinsichtlich beider strafbarer Handlungen zugebilligt. Das Gericht steht dabei auf dem Standpunkt, dass auch im Falle des §223b StGB, selbst wenn gem. Abs.2 dieser Bestimmung ein besonders schwerer Fall vorliegt, die Zubilligung mildernder Umstände gem. §228 StGB möglich ist (vergl. dazu Schwarz §223b StGB Anm.6 und die dort angegebene Rechtspr.).

Auf der anderen Seite darf nicht verkannt werden, dass der Angeklagte sich in schwerster Weise gegen die Gebote der Menschlichkeit und die Pflichten eines anständigen Soldaten vergangen hat. Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass er Angehöriger einer Landesschützeneinheit war, in welcher sich grundsätzlich ältere, besonnene Leute zu befinden pflegten, so dass der Angeklagte die Möglichkeit gehabt hätte, sich an anderen Kameraden ein Beispiel zu nehmen.

 

Unter Abwägung all dieser Umstände hielt das Schwurgericht wegen des Totschlags, der am schwersten wiegt, in Anwendung des §213 StGB eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, und wegen des Vergehens gegen §223b StGB eine solche von einem Jahr und sechs Monaten für angemessen und ausreichend.

Gem. §32 StGB in Verbindung mit §§212, 213 StGB wurden dem Angeklagten wegen der Gemeinheit und Ehrlosigkeit seines Verhaltens die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von drei Jahren aberkannt. Die erkannten Freiheitsstrafen wurden gem. §74 StGB auf eine Gesamtstrafe von drei Jahren Gefängnis zurückgeführt.

 

225 VO zur Beseitigung nat.soz. Eingriffe in die Strafrechtspflege vom 23.5.1947 (VOBl. BZ S.65) (Britische Zone).