Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.701a LG Stuttgart 13.03.1969 JuNSV Bd.XXXI S.697

 

Lfd.Nr.701a    LG Stuttgart    13.03.1969    JuNSV Bd.XXXI S.775

 

durch eine allgemeine Anweisung erteilt haben sollte, kommt dafür eine Tatzeit frühestens ab Aufstellung des Teilkommandos 1005 B in Dnjepropetrowsk im September 1943 in Betracht.

 

C. Rechtliche Qualifikation dieser Tatbeiträge

 

1. Haupttäter der Mordverbrechen

 

Die massgebenden Taturheber der im Zuge der "Endlösung der Judenfrage" von den Einsatzgruppen und späteren stationären SD-Organen auf höchsten Befehl vollzogenen Liquidierung wehr- und schuldloser, als "minderrassig" geltender Zivilisten sind in erster Linie Hitler, Göring, Himmler und (bis zu seinem Tode) Heydrich. Mit Hilfe fanatischer Handlanger und eines auf unbedingten Gehorsam gedrillten Apparates liessen diese Haupttäter aus Rassenhass planmässig Millionen Unschuldiger umbringen. Sie begingen damit millionenfachen Mord im Sinne des §211 StGB alter und neuer Fassung, was keiner weiteren Ausführung bedarf. Mit der von denselben Haupttätern oder ihren gleichgesinnten Mitarbeitern - zu denen statt des 1942 umgekommenen Heydrich im vorliegenden Fall der Leiter des Amtes IV (Gestapo) im RSHA Müller und nach seiner Funktion sowie wegen seines besonderen eigenen Tatinteresses auch Blobel gezählt werden müssen - an höchster Stelle veranlassten Aktion 1005, also der ab 1943 nach der Stalingrad-Katastrophe an der gesamten Ostfront systematisch und vorrangig betriebenen Beseitigung der von den Morden der Einsatzkommandos zeugenden Massengräber, kam es ihnen jetzt darauf an, die Spuren dieser Mordverbrechen so weit wie möglich zu vernichten, um Art und Ausmass der begangenen Greueltaten vor der Welt geheim zu halten. Um alle, sei es auch nur mittelbare Beweise aus der Welt zu schaffen, ordneten sie die Tötungen der bei den Leichenausgrabungen zu Mitwissern gewordenen Zwangsarbeitshäftlinge an, deren Leben ihnen ohnehin nichts galt, da die Häftlinge rassisch missachteten Volksgruppen, vornehmlich der jüdischen, zugehörten. Damit wollten die Haupttäter verhindern, dass sie im Falle eines für sie ungünstigen Ausgangs des Krieges für die von ihnen veranlassten Massenmorde verantwortlich gemacht werden könnten. Sie befahlen die Tötung der Arbeitskräfte also, um andere Straftaten zu verdecken. Sie erfüllten damit den Mordtatbestand im Sinne des damals schon in der heutigen Fassung geltenden §211 Abs.2 StGB.

 

Zugleich stellen die Erschiessungen der Arbeitshäftlinge aber auch von den Taturhebern aus niedrigen Beweggründen nach §211 StGB begangene Mordverbrechen dar. Die Hauptverantwortlichen opferten ihrem Vorhaben bedenkenlos und planmässig jüdische oder sonstige "fremdvölkische" Menschen, weil sie getreu ihrer Rassenideologie von der Überwertigkeit der eigenen "nordischen" Rasse "artfremdes, rassisch minderwertiges" Leben nicht im mindesten respektierten. Diese Denkweise wurde besonders daraus deutlich, dass die Tötung der deutschen Beteiligten, die um nichts weniger als die Häftlinge zu "Geheimnisträgern" wurden, die im Gegenteil einen weit umfassenderen Einblick in das Ausmass der begangenen Verbrechen bekamen, trotz der Befürchtungen der Betroffenen ganz offensichtlich nicht ins Auge gefasst worden war, was, da alle Verpflichtungen und Strafandrohungen das Schweigen jedes einzelnen nicht verbürgen konnten, zumindest weitgehend damit zu erklären ist, dass sie eben "arteigen" und deshalb für die NS-Führer nicht, gleich Juden und Russen, einfach vogelfrei waren. Diese klar an rassische und völkische Gesichtspunkte anknüpfende Differenzierung der Haupttäter bei ihrer Entscheidung, inwieweit der Vertuschung der Verbrechen Vorrang vor Menschenleben einzuräumen sei, wurzelte in demselben Denken, das die Taturheber zu ihren jetzt zu verdeckenden Massenmorden befähigt hatte. Wer aber aus massloser Überbewertung der eigenen Rasse andere Rassen für so minderwertig hält, dass er deren Angehörigen allein schon wegen ihrer Abstammung die Menschenwürde und das Lebensrecht abzusprechen bereit ist, verleugnet damit die in allen zivilisierten Kulturstaaten anerkannten, unverzichtbaren und fundamentalen Grundsätze der Menschlichkeit, des Rechts und der Sitte. Eine solche Gesinnung ist verächtlich und steht nach allgemeiner