Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.775

 

Anordnung getroffen, dass kein Häftling zurückbleiben und in Feindeshand fallen dürfe; wer nicht mitkönne, sei zu liquidieren.

Eine entsprechende schriftliche Anordnung vonseiten Ziereis erging etwa Mitte März 1945 an den ranghöchsten SS-Führer der Wiener Nebenlager, den Führer des Lagers Wiener-Neudorf, SS-Hauptsturmführer Schmutzler. Dieser erhielt gleichzeitig die Anweisung, gleichlautende Befehle an andere Nebenlager, u.a. an die Lager Wiener-Neustadt und Hinterbrühl zu überbringen. Auch diese Befehle waren bereits schriftlich fixiert und wahrscheinlich als Geheimsachen in Umschlägen verschlossen.

 

Gegen Ende März 1945, als die Evakuierung der Wiener Nebenlager feststand, befahl Schmutzler seinem Rapportführer, dem Zeugen La., die Liquidierungsbefehle mit dem Motorrad nach Hinterbrühl und Wiener-Neustadt zu bringen. Der Zeuge La. fuhr darauf zunächst nach Hinterbrühl und übergab den im Umschlag verschlossenen Befehl dem in der Schreibstube befindlichen Angeklagten Streitwieser, an den er als Lagerführer gerichtet war.

Dann fuhr der Zeuge weiter nach Wiener-Neustadt, stellte aber fest, dass dieses Lager bereits abmarschiert war.

Der Angeklagte Streitwieser öffnete und las den Liquidierungsbefehl. Im weiteren Verlauf sorgte er für seine konsequente und erbarmungslose Durchführung, wobei er allerdings weitgehend im Hintergrund zu bleiben versuchte und unmittelbare Anordnungen seinem Rapportführer Bühner überliess.

 

Es soll dem Angeklagten geglaubt werden, dass er sich von der unmittelbaren Ausführung der Tötungen deshalb zurückhalten wollte, weil ihm dies als eine schmutzige Sache, als eine "Schweinerei" erschien. Diese Zurückhaltung beruhte aber nicht etwa auf Mitleid und Sorge um das Leben der ihm anvertrauten Häftlinge, die ihm vielmehr völlig gleichgültig waren, sondern eben einfach darauf, weil er sich nicht selbst die Hände schmutzig machen wollte. - Obwohl der Angeklagte erkannte, dass der offensichtliche Inhalt des ihm übergebenen Befehls war, keinen Häftling in Feindeshand fallen zu lassen, ihm also die Möglichkeit gegeben war, Massnahmen für den Transport marschunfähiger Häftlinge zu treffen, ohne dass darin ein Befehlsverstoss gelegen hätte, unterliess er solche Massnahmen. Vielmehr liess er in der Nacht vom 31.3. zum 1.4.1945 alle im Revier befindlichen marschunfähigen Häftlinge durch Benzininjektionen in die Herzgegend töten.

 

Zunächst besprach er die Angelegenheit mit seinem Rapportführer Bühner. Bei dieser Besprechung wurde zumindest Zeitpunkt und Durchführungsart der Tötung aller marschunfähigen Revierkranken festgelegt. Man wählte die Tötungsform von Benzininjektionen wahrscheinlich deshalb, weil diese die geräuschloseste und daher am besten geeignete war, Unruhe im Lager zu vermeiden. Die nähere Durchführung des Liquidierungsbefehls überliess der Angeklagte dann seinem Rapportführer Bühner, obwohl er dessen Unmenschlichkeit genau kannte und wusste, dass dieser den Befehl in seiner grausamsten und extensivsten Weise ausführen würde.

 

Bühner begab sich zunächst zu dem Zeugen Hof., damals SS-Sanitätsdienstgrad im Revier von Hinterbrühl, und liess sich von diesem die Zahl der im Revier befindlichen marschunfähigen Häftlinge angeben. Dieser nannte ihm eine Zahl von über 80 Häftlingen und meinte, es genügten 2 LKWs, um sie nach Mauthausen zu transportieren. Bühner jedoch erklärte ihm, es bestünde Befehl, dass alle Marschunfähigen getötet würden. Der hierüber entsetzte Zeuge Hof. teilte den Plan sofort dem als leitenden Häftlingsarzt tätigen Zeugen Dr. Kra. mit und besprach mit ihm, was man dagegen unternehmen könne. Nach dieser Unterredung fuhr der Zeuge Hof. zu dem für die Betreuung der Wiener Nebenlager zuständigen SS-Arzt Dr. Plettig nach Wiener-Neudorf und bat diesen, etwas zur Verhinderung der Tötung zu unternehmen. Dr. Plettig erklärte ihm jedoch, dass er nichts tun könne.