Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.701a LG Stuttgart 13.03.1969 JuNSV Bd.XXXI S.697

 

Lfd.Nr.701a    LG Stuttgart    13.03.1969    JuNSV Bd.XXXI S.772

 

Da dem Angeklagten Kir. somit keine schuldhafte Mitwirkung bei der Erschiessung der Arbeitshäftlinge nachgewiesen werden konnte, war er bereits aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.

 

VII. Rechtliche Würdigung der strafbaren Handlungsweise der Angeklagten Soh. und Zie.

 

A. Verfahrensfragen

 

1. Geltung des deutschen Strafrechts

 

Das deutsche Strafrecht ist auf die von den Angeklagten auf russischem Staatsgebiet begangenen Taten nach §3 StGB anzuwenden. Die Angeklagten sind deutsche Staatsangehörige. Seit der Verordnung über den Geltungsbereich des Strafrechts vom 6.5.1940 (RGBl. I, 754) unterliegen Taten deutscher Staatsangehöriger dem deutschen Strafrecht, gleichgültig ob sie im In- oder Ausland begangen wurden. Da Beihilfe zum Mord in Frage steht, könnten allerdings Bedenken aufkommen, ob die für die Verjährungsfrage bedeutsame VO gegen Gewaltverbrecher vom 5.12.1939 (RGBl. I, 2378) zu dem auf Auslandstaten deutscher Staatsangehöriger gemäss §3 StGB anzuwendenden Recht gehört; denn der räumliche Geltungsbereich dieser VO (deren Rechtswirksamkeit geklärt ist; BGH Urt. v. 2.10.1963 - 2 StR 269/63 423 -) sollte nach ihrem Vorwort auf das "Gebiet des Grossdeutschen Reiches" beschränkt sein. Dass solche Bedenken jedoch nicht durchschlagen, dass vielmehr auch die Gewaltverbrecher-VO seit der VO über den Geltungsbereich des Strafrechts vom 6.5.1940 auf Taten deutscher Staatsangehöriger im Ausland anzuwenden ist, hat der BGH in seinem Urteil vom 9.4.1963 - 5 StR 22/63 424 - entschieden. Diese Rechtsansicht macht sich das Schwurgericht zu eigen.

 

2. Keine Verjährung

 

Die von den Angeklagten im Auftrag der nationalsozialistischen Staatsführung begangenen Taten konnten nicht geahndet werden, solange Hitlers Wille massgeblich war. Das bedarf keiner weiteren Begründung. Die Verjährung der Strafverfolgung ruhte daher bis zum endgültigen Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes am 8.5.1945. Dies folgt unmittelbar aus §69 StGB (BGH NJW 62, 2308, 63,1627). Auf das Gesetz über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 13.4.1965 (BGBl. I, 315) kommt es hier nicht an; denn auch unter der Voraussetzung, dass der Lauf der Verjährung der von den Angeklagten begangenen Verbrechen am 8.5.1945 begann, ist sie in keinem der vorliegenden Fälle eingetreten.

 

Zwar war nach §§49, 44, 21 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung in Verbindung mit §14 StGB die Höchststrafe für Beihilfe zum Mord 15 Jahre Zuchthaus. Erst die VO zur Durchführung der Strafrechtsangleichungsverordnung vom 29.5.1943 (RGBl. I, 341) änderte §49 StGB dahin ab, dass die Beihilfe wie die vollendete Tat bestraft werden kann. Die VO vom 29.5.1943 stellte aber nur klar, was der Gesetzgeber schon am 5.12.1939 in §4 der VO gegen Gewaltverbrecher für zulässig erklärt hatte. Die Frage, ob die Gewaltverbrecher-VO die Möglichkeit, Beihilfe und vollendete Tat gleich zu bestrafen, nur bei Gewaltverbrechen oder im gesamten Bereich des Strafrechts eröffnen sollte, hat der BGH stets in dem zuletzt genannten Sinne beantwortet (vgl. BGH Urt. v. 22.5.1962 - 5 StR 4/62 425 - NJW 62, 2209). Dieser Ansicht schliesst sich das Gericht an.

 

423 Siehe Lfd.Nr.564.

424 Siehe Lfd.Nr.540.

425 Siehe Lfd.Nr.511.