Justiz und NS-Verbrechen Bd.XVIII

Verfahren Nr.523 - 546 (1961 - 1963)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.526a LG Karlsruhe 20.12.1961 JuNSV Bd.XVIII S.69

 

Lfd.Nr.526a    LG Karlsruhe    20.12.1961    JuNSV Bd.XVIII S.77

 

in Berlin beschäftigt.

 

Nach beinahe 2jährigem Aufenthalt im Internierungslager Regensburg wurde er durch die dortige Spruchkammer am 27.4.1948 unter Auferlegung einer Reihe von Auflagen in die Gruppe der Minderbelasteten eingestuft.

Seit Juni 1950 steht er im Angestelltenverhältnis beim Versorgungsamt in Heidelberg, nachdem er bis dahin u.a. durch Schreinerarbeit und auch als Desinfektor seinen Lebensunterhalt verdient hatte. Seine Vermögensverhältnisse sind geordnet.

In die NSDAP trat P. am 1.4.1933, in die SS am 1.6.1933 ein.

Der Angeklagte P. ist seit 1933 verheiratet und hat 3 erwachsene Kinder. Seinen ursprünglichen Namen Pi. liess er 1941 in seinen jetzigen deutschklingenden Namen ändern.

Der Angeklagte P. ist nicht vorbestraft.

Er befand sich aufgrund des Haftbefehls des Landgerichts Karlsruhe vom 24.11.1960 vom 25.11.1960 bis 12.12.1961 in Untersuchungshaft in vorliegender Sache.

 

Die oben getroffenen Feststellungen zur Person, zu den Vorstrafen und zu den Haftverhältnissen der Angeklagten beruhen auf deren eigenen glaubhaften Angaben, auf dem Inhalt ihrer SS-Personalakten, der Spruchkammerakten sowie ihrer Straflisten; die genannten Akten und Straflisten sowie die aktenmässig festgehaltenen Haftverhältnisse wurden mit den Angeklagten erörtert und von ihnen als richtig anerkannt.

 

B. Allgemeine Feststellungen

 

Das Schwurgericht hat nachfolgenden Sachverhalt auf Grund der Hauptverhandlung als erwiesen festgestellt: Die Feststellungen beruhen auf den insoweit glaubhaften Einlassungen der Angeklagten, auf den Bekundungen der im folgenden benannten Zeugen, die in der Hauptverhandlung vernommen oder deren Protokoll über eine frühere Vernehmung verlesen wurde, und auf dem Inhalt der zur Verlesung gebrachten Urkunden, soweit sie hier angeführt sind.

 

I. Gegenstand des Verfahrens

 

Alle Angeklagten waren im 2.Weltkrieg als SS-Offiziere während des Russlandfeldzuges bei Einheiten im Einsatz, zu deren Aufgaben auch die Vernichtung der Juden aus rein rassischen Gründen zählte. Die Angeklagten H., K. und Ku. gehörten im Sommer 1941 dem vom Angeklagten E. befehligten Einsatzkommando 1b (EK 1b) an, während die Angeklagten Dr. Schumacher, Brünnert, Kl. und P. in den Jahren 1942/1943 zu unterschiedlichen Zeiten zu der Dienststelle des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD (KdS) in Kiew, deren Kommandeur wiederum der Angeklagte E. war, gehörten. Das EK 1b war während der hier in Frage stehenden Zeit im litauisch-lettischen Raume von Kowno - Dünaburg - Rositten eingesetzt. Die Tätigkeit der Dienststelle des KdS in Kiew beschränkte sich, soweit sie hier bedeutsam ist, auf Kiew selbst, die Aussenstelle Uman und das von ihr unweit von Kiew unterhaltene landwirtschaftliche Gut Michalowka.

In beiden Einsatzgebieten - dem des EK 1b und dem des KdS - war der Angeklagte E. der Vorgesetzte der anderen hier angeklagten SS-Führer mit Ausnahme des Angeklagten Dr. Schumacher von November 1941 bis Februar 1942 in Kiew, und in ebenfalls beiden Einsatzräumen wurden durch das EK 1b einerseits und durch die KdS-Dienststelle andererseits Juden allein ihrer Rasse wegen vernichtet.

Das ist Gegenstand des Verfahrens.

 

II. Entwicklung der Judenfrage

 

Die Entrechtung und Diskriminierung der in Deutschland lebenden Juden begann schon bald nach der sog. Machtübernahme vom 30.1.1933. Sie ging zurück auf Hitler und seine nähere Umgebung und hat ihren schriftlich niedergelegten Ausgangspunkt im Parteiprogramm der NSDAP, nach dessen Punkt IV ein Jude niemals Volksgenosse und deshalb auch niemals Staatsbürger sein konnte.