Justiz und NS-Verbrechen Bd.VIII

Verfahren Nr.260 - 297 (1950 - 1951)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

 

Lfd.Nr.294a LG Köln 19.10.1951 JuNSV Bd.VIII S.765

 

Lfd.Nr.294a    LG Köln    19.10.1951    JuNSV Bd.VIII S.769

 

verursachte innere Unsicherheit verbunden mit einer ausgesprochenen Urteilsschwäche habe er durch sein rücksichtsloses Auftreten kompensieren wollen. Dieses Streben sei bei seiner Persönlichkeitswertung als Triebfeder seines Handelns zu erkennen. Hierauf sei sein Verhalten sowohl bei den Misshandlungen wie auch bei der Tötung des Russen zurückzuführen. Das Schwurgericht hatte keine Bedenken, diesem Gutachten zu folgen. Mit diesem Gutachten deckt sich im übrigen auch die Einlassung des Angeklagten, der, auf die direkte Frage des Vorsitzenden, warum er den Schuss abgegeben hat, schliesslich erklärt hat: "Ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte." Diese Erklärung gibt einen typischen Einblick in die Urteilsschwäche und innere Unsicherheit des Angeklagten, wie sie der Sachverständige festgestellt hat.

 

Aus diesen Feststellungen ergibt sich, dass der Angeklagte aus seiner inneren Unsicherheit heraus die Tat begangen hat, um sich nach aussen hin den Anschein eines selbstbewussten und selbstsicheren Menschen zu geben. Geltungsstreben, Machtrausch und eine Verachtung des Menschenlebens sind dem Angeklagten wesensfremd und sind deshalb auch bei der Beurteilung dieser Tat nicht als Beweggründe seines Handelns zu erkennen.

Der Angeklagte ist daher des Totschlags gemäss §212 StGB schuldig.

 

Das Schwurgericht hat in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Sachverständigen dem Angeklagten den Schutz des §51 II StGB zugebilligt, weil seine Einsichtsfähigkeit in das Ungesetzliche der Tat aus den vorgeschilderten Umständen erheblich gemindert war. Seine unterdurchschnittliche Intelligenz, seine völlige Unsicherheit und Unfähigkeit zu einem klaren Urteil bei der Notwendigkeit, vor versammelter Mannschaft auf der Stelle einen geeigneten Entschluss zu fassen, lassen eine solche erhebliche Verminderung seiner Einsichtsfähigkeit erkennen. Das Schwurgericht hat auch im Rahmen des §213 StGB dem Angeklagten mildernde Umstände zugebilligt, weil er bisher nicht vorbestraft ist und nach seinem Vorleben als ruhiger, fleissiger und in gutem Ruf stehender Arbeiter anzusehen ist.

Der Angeklagte war daher aus der Strafbestimmung des §213 StGB zu bestrafen.

 

Bei der Strafzumessung darf nicht verkannt werden, dass der Angeklagte als Mensch und Soldat, dem Kriegsgefangene anvertraut worden waren, eine besondere Pflicht auch gegenüber dem getöteten Russen übernommen hatte. Es handelte sich um einen Menschen, dem ohne sein Verschulden im Zuge der Kriegsereignisse das schwere Los eines Kriegsgefangenen zugefallen war; das hätte ihn veranlassen müssen, diesen Russen in seiner Eigenschaft als Lagerführer fair und korrekt zu behandeln. Er hat durch seine Straftat das Ansehen der damaligen deutschen Wehrmacht und des deutschen Volkes im allgemeinen schwer gefährdet.

Auf der anderen Seite erhellen die Umstände, die zu seiner Straftat geführt haben, dass es ein grosser Missgriff war, den Angeklagten mit einer so verantwortungsvollen Aufgabe als Lagerführer zu beauftragen. Er war dieser Aufgabe nicht gewachsen und ist mehr aus dieser Unfähigkeit heraus, als durch eine kriminelle Neigung zu dieser Straftat gekommen.

 

Bei Abwägung dieser Umstände erschien eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten als eine angemessene aber auch ausreichende Sühne.

Dem Angeklagten wurden ausserdem wegen der Ehrlosigkeit der Gesinnung, die in seiner Straftat zum Ausdruck gekommen ist, gemäss §32 StGB in Verbindung mit §§212, 213 StGB die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von drei Jahren aberkannt. Gemäss §§79, 74 StGB war eine Gesamtstrafe zu bilden, die unter Einbeziehung der durch Urteil des Schwurgerichtes in Köln vom 22.5.1950 wegen Verletzung der Obhutspflicht rechtskräftig erkannten Gefängnisstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf eine Gesamtstrafe von drei Jahren Gefängnis festgesetzt worden ist.

Die erlittene Untersuchungshaft konnte dem Angeklagten aus Billigkeitsgründen gemäss §60 StGB auf die erkannte Strafe angerechnet werden.

 

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§465, 473 StPO. Die Kosten des Revisionsverfahrens waren dem Angeklagten aufzuerlegen, da die Kosten des Revisionsverfahrens