Justiz und NS-Verbrechen Bd.VIII

Verfahren Nr.260 - 297 (1950 - 1951)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

 

Lfd.Nr.294a LG Köln 19.10.1951 JuNSV Bd.VIII S.765

 

Lfd.Nr.294a    LG Köln    19.10.1951    JuNSV Bd.VIII S.768

 

und widerrechtlich getötet zu haben.

 

Auch die erneute Hauptverhandlung hat dagegen nicht zu der Feststellung geführt, dass der Angeklagte die Tötung aus den im §211 StGB angeführten Motiven oder heimtückisch, grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken begangen hat.

 

Die seine Verletzungen der Obhutspflicht darstellenden rechtskräftigen Feststellungen in dem Urteil des Schwurgerichtes vom 22.5.1950, auf die hiermit Bezug genommen wird, lassen mit Recht den Gedanken aufkommen, dass der Angeklagte die Tötung des Russen aus besonders gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung, und zwar aus Lust am Leiden des Opfers begangen hat. Dass der Angeklagte in diesem Falle gegen sein Opfer in der gekennzeichneten Weise vorgegangen ist, hat die Beweisaufnahme nicht ergeben. Gewalttätigkeiten gegen den Russen sind von keinem der Tatzeugen bekundet worden. Es steht vielmehr durch die Bekundungen der Zeugen R. und H. fest, dass sich der ganze Vorfall innerhalb von Sekunden abgespielt hat. Der Angeklagte hat nach den Tatfeststellungen die Tat ohne Verzug ausgeführt. Er hat nach seiner unwiderlegbaren Einlassung auch nicht erkannt, dass der Russe um Gnade gefleht hat. Er war vielmehr der Auffassung, dass der Russe mit allen Mitteln seine Einreihung in das Arbeitskommando verhindern wollte und dass sich seine Worte "nix, nix" hierauf bezogen. Dies ist auch anzunehmen, da der Zeuge R. ausdrücklich bekundet hat, dass der Angeklagte erst nach diesen Worten zum Gewehr gegriffen hat. Der Russe konnte also bis zu diesem Zeitpunkt sein Leben nicht als bedroht fühlen. Eine besonders gefühllose und unbarmherzige Gesinnung ist aus den gegebenen Umständen daher nicht zu entnehmen.

 

Der Zeuge K. hat bekundet, dass der Angeklagte nach seinem Eindruck einen Musterbetrieb aus seinem Lager machen wollte. Er wollte die Insassen seines Lagers nach militärischen Grundsätzen "zackig" ausrichten. Das Schwurgericht hat in seinem Urteil vom 22.5.1950 angenommen, dass der Angeklagte die Tat aus Geltungsbedürfnis, im Machtrausch begangen habe. Durch Propagandahetze sei er verleitet worden, einen kriegsgefangenen Russen sozusagen als Freiwild anzusehen. Diese Feststellungen über die Beweggründe des Angeklagten konnten nach dem jetzigen Beweisergebnis nicht aufrecht erhalten werden.

 

Es ist zunächst davon auszugehen, dass das gesamte Verhalten des Angeklagten während seiner Zeit als Lagerführer völlig aus dem Rahmen seiner Persönlichkeit im zivilen Leben herausfällt. Aus dem geschilderten Lebenslauf ergibt sich, dass der Angeklagte ein strebsamer, nüchterner und stets hilfsbereiter Mensch ist. Die Zeugen He. und Sch., die den Angeklagten seit 20 Jahren kennen, stellen ihm ein ausgezeichnetes Leumundszeugnis aus. Nach Bekundungen des Zeugen Pfarrer W. geniesst der Angeklagte in seiner Heimat einen guten Ruf. Seine Liebe zu Kindern und Tieren ist allgemein bekannt. Die hier zur Aburteilung stehende Tat steht im krassen Widerspruch zu diesem Vorleben des Angeklagten und auch zu seiner nachherigen Führung.

 

Ein Schlüssel zu den Beweggründen des Angeklagten ist aus dem Gutachten des Sachverständigen Medizinalrates Dr. Wü. zu entnehmen. Der Sachverständige bezeichnet den Angeklagten als einen Menschen niedriger intellektueller Veranlagung mit einem lebhaften Temperament, das in dieser Kombination zu Unbesonnenheit und Übereilung führt. Unter normalen Umständen sei der Angeklagte den Anforderungen des Lebens gewachsen. Anweisungen seiner Vorgesetzten würden von ihm ohne Bedenken und rückhaltlos ausgeführt. In Übereinstimmung mit diesem Gutachten stehen die Bekundungen des Zeugen Sch., dass der Angeklagte zu jeder Arbeit, auch zu der, die wegen Verschmutzung und dergleichen von anderen Arbeitern abgelehnt werde, herangezogen werden könne. Der Angeklagte führe jede Anordnung seines Arbeitgebers prompt und willig durch und lasse einen eigenen Willen hierbei nicht erkennen. Durch die Übertragung der Kommandogewalt eines Lagerführers ist der Angeklagte nach Ansicht des Sachverständigen an ein Arbeitsgebiet herangeführt worden, dem er nach seinem Intelligenzniveau nicht gewachsen war. Diese Erkenntnis hatte der Angeklagte. Die hierdurch