Justiz und NS-Verbrechen Bd.VIII

Verfahren Nr.260 - 297 (1950 - 1951)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

 

Lfd.Nr.294a LG Köln 19.10.1951 JuNSV Bd.VIII S.765

 

Lfd.Nr.294a    LG Köln    19.10.1951    JuNSV Bd.VIII S.767

 

ab. Der Schuss traf den Russen über dem rechten Auge. Er war sofort tot. Der Angeklagte liess die Leiche zunächst liegen und setzte eine schriftliche Meldung an seine vorgesetzte Behörde ab. Darin teilte er mit, dass er einen Gefangenen wegen Widersetzlichkeiten und Gehorsamsverweigerung erschossen habe. Nach dem Vorfall liess er den Lagerarzt Dr. K. telefonisch verständigen. Der Zeuge machte die Leichenschau und gab in seiner Todesmeldung als Todesursache "Tod durch Erschiessung wegen Befehlsverweigerung" an. Ob aufgrund dieser Meldungen disziplinäre oder kriegsgerichtliche Massnahmen gegen den Angeklagten ergriffen worden sind, ist nicht bekannt geworden.

 

Dieser Sachverhalt ergibt sich aus der Einlassung des Angeklagten und stützt sich auf die Bekundungen der Zeugen R., Ehefrau H., Dr. K., Or., L., W., He. und Sch.

 

Der Angeklagte gibt den objektiven Sachverhalt zu. Soweit der Ablauf der Geschehnisse bis zum Augenblick, als der Russe vor dem Angeklagten auf den Knien lag, in Frage kommt, war das Schwurgericht auf die Einlassung des Angeklagten angewiesen. Tatzeugen für diese Vorgeschichte der Erschiessung sind nicht vorhanden. Die Zeugen R. und H. haben in Übereinstimmung mit der Einlassung des Angeklagten bestätigt, dass zwischen dem Niederknien des Russen und der Abgabe des Schusses nur einige Sekunden verstrichen sind. Der Zeuge R. stand am Lagertor, um das Kommando abzuholen. Er hat gesehen, dass der Russe mit erhobenen Händen vor dem Angeklagten auf den Knien lag und gehört dass er "nix, nix" rief. Der Angeklagte habe ein Gewehr ergriffen, angelegt, und im gleichen Augenblick auch schon geschossen. Die Zeugin H. hat zufällig aus dem Barackenfenster gesehen und nur den Augenblick erfasst, in dem der Angeklagte den Schuss abgab.

Der Angeklagte lässt sich zu seiner Rechtfertigung dahin ein, dass er das Verhalten des Russen als Widersetzlichkeit und Ungehorsam gegen seinen Befehl zur Einreihung in das Glied des Arbeitskommandos aufgefasst und er sich zur Brechung dieses Widerstandes berechtigt geglaubt habe, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Es habe für Lagerführer eine militärische Anweisung bestanden, bei Gehorsamsverweigerung durch Kriegsgefangene von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.

 

Mit dieser Einlassung kann der Angeklagte nicht gehört werden. Der Angeklagte hat einen Lehrgang für Wachmannschaften mitgemacht. Er wusste daher auch, welche Anweisungen für die Behandlung von Kriegsgefangenen bestanden. Anweisungen der von ihm behaupteten Art haben weder im ersten noch im zweiten Weltkrieg bestanden. Bei Unbotmässigkeiten geringeren Umfanges hatte er nach eigenen Angaben die Möglichkeit, durch Kostverkürzungen disziplinäre Massnahmen zu ergreifen. Bei ernsteren Verstössen gegen die Lagerordnung hatte er den Insassen bei seiner vorgesetzten Dienststelle zur Verfolgung des Falles zu melden. Dies war dem Angeklagten bekannt. Wie auch der Zeuge L. als Nachfolger des Angeklagten bei der Beaufsichtigung des Lagers in Hommerich bekundet, sind in den Kursen die Lagerführer über ihren Pflichtenkreis genau instruiert worden. Der Angeklagte musste daher wissen und hat auch gewusst, dass eine Anweisung der von ihm behaupteten Art nicht bestand und er bei einer Gehorsamsverweigerung nicht berechtigt war, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.

Die festgestellten Umstände lassen im übrigen erkennen, dass es dem Russen offenbar lediglich darauf ankam, nicht wieder dem Arbeitskommando zugeteilt zu werden. Irgend eine Aktivität gegenüber dem Angeklagten oder einem Mitgliede der Wachmannschaft ist nicht zu erkennen. Sein Niederwerfen auf die Knie war allenfalls als eine passive Resistenz zu werten. Diese Resistenz konnte der Angeklagte mit den ihm zu Gebote stehenden legalen Mitteln brechen. Die Wachmannschaft war zur Stelle. Anzeichen einer Aufsässigkeit anderer Kriegsgefangenen oder einer Meuterei im Gliede der angetretenen Russen lag nicht vor. Bei dieser Situation musste sich der Angeklagte bewusst sein, und war sich auch bewusst, dass er nicht das Recht hatte, den Russen niederzuschiessen. Das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit ist damit als festgestellt zu erachten.

 

Aufgrund des Beweisergebnisses ist der Beklagte überführt, einen Menschen vorsätzlich