Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.762

 

Lager Sobibor durchgeführt worden ist, als vollkommen unrealistisch anzusehen sind. Die Zeugen haben angegeben, dort im Lager Sobibor seien 700.000 bis 1.000.000 Menschen, manche haben sogar gemeint bis zu 2 Millionen Menschen, getötet worden.

 

Diese übersetzten Zahlenangaben sprechen nun allerdings nicht dafür, dass diese Zeugen schon deswegen unglaubwürdig seien, weil sie in diesem Bereich sich nicht als verlässliche Beweismittel gezeigt haben. Die Fehleinschätzung der Gesamtzahl der Opfer des Vernichtungslagers hat nämlich einen realen Hintergrund. Die meisten der Zeugen haben miterlebt, dass im Frühjahr des Jahres 1943 im Lager eine kleine Feier der deutschen Wachmänner stattgefunden hat. Die Kammer sieht aufgrund der vielfältigen und überzeugenden Aussagen hierzu als erwiesen an, dass seinerzeit gegenüber den jüdischen Opfern davon gesprochen worden ist, die Tötung des 750.000.Menschen sei für die Feier der Anlass. Die Kammer geht davon aus, dass, die Einstellung der deutschen Wachmänner den jüdischen Menschen gegenüber berücksichtigend, die Deutschen in prahlerischer Weise diese Zahl genannt und - bewusst oder unbewusst - den Eindruck damit erweckt haben, allein im Sobibor-Lager sei diese Zahl erzielt worden, die sich tatsächlich aber, wie sich auch dem Gutachten Dr. Sche.s hat überzeugend entnehmen lassen, auf die "Gesamtleistung" der Lager der "Aktion Reinhard" bis zu diesem Zeitpunkt bezogen hat.

 

Hinzu kommt, dass die jüdischen Zeugen keinerlei konkreten Ansatz hatten, um die Gesamtzahlen auch nur einigermassen zuverlässig zu erfassen. Für sie selbst war der grauenhafte Eindruck des Massengeschehens so überwältigend, dass sie gar nicht die Distanz gewinnen konnten, um solche Transportgrössen und Häufigkeitszahlen genügend zu erfassen, um zu realistischen Gesamtzahlen zu gelangen.

 

Vielfältige Bekundungen über die eigene Transportgrösse belegen, dass es ihnen kaum möglich gewesen ist, schon die Zahl der mit ihnen eintreffenden Menschen einigermassen zuverlässig zu schätzen. Einig sind sich die Zeugen zwar, insoweit auch abgestützt durch die Erklärungen des Angeklagten und anderer deutscher ehemaliger Lagerangehöriger, dass in den einzelnen Güterwaggons durchweg etwa 80 Menschen zusammengepfercht waren, die einzelnen Zugtransporte zumeist 15 bis 20 Waggons umfassten. So grosse Transporte, wie sie insbesondere nach Treblinka gekommen sind, mit bis zu 60 Waggons, sind nach Sobibor nicht gekommen, obgleich vereinzelt Transporte bis zu 30 Güterwaggons vorgekommen sind.

 

Die Vernehmung der polnischen Zeugen, die als Eisenbahnangehörige hier relativ genaue Beobachtungen gemacht und auch zuverlässig bekundet haben, sichern ab, dass die Transporte im allgemeinen so gewesen sind, dass sie in 2, nur in Ausnahmefällen in 3 Abteilungen, auf dem Abstellgleis des Lagers abgefertigt werden konnten und dass die einzelnen Abteilungen durchweg aus 8 bis 9 Güterwaggons bestanden haben. Die Länge der Rampe hätte zwar auch längere Abteilungen zugelassen, ist aber offenbar aus praktischen Erwägungen nicht ausgenutzt worden. Das dürfte, nach allem, was vom Angeklagten über den Ablauf des Vernichtungsbetriebes erklärt worden ist, nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass die Kapazität der Gaskammern den Massstab für die Grösse der jeweiligen Transportabteilungen bildete, die zu leeren waren. Im übrigen liess auch der Bahnstreckenunterbau so ganz grosse Transporte nicht zu.

 

Die Aussagen der kommissarisch vernommenen russischen Zeugen sind zumindest insoweit als übersetzt anzusehen, wie die Bekundungen darauf hinauslaufen, nach dem Transport aus Minsk, mit dem sie kamen, seien noch 8 bis 12 oder mehr Transporte mit 10.000 bis 20.000 Menschen gekommen. Die von Frenzel wiederholt gemachte Angabe, zwei russische Transporte mit mindestens 2.000 russischen Juden seien eingetroffen, hat die Kammer als gesichert angesehen, zumal auch Prof.Dr. Sche. diese Zahl für richtig erklärt hat.