Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.701a LG Stuttgart 13.03.1969 JuNSV Bd.XXXI S.697

 

Lfd.Nr.701a    LG Stuttgart    13.03.1969    JuNSV Bd.XXXI S.760

 

Kriegsgefangenenwesen feststeht - ab 5.11.1943 als damaliger Oberstleutnant mit der Wahrnehmung der Geschäfte als Kommandant des Durchgangslagers (Dulag 162) in Nikolajew beauftragt war, dass das Enterdungskommando ziemlich unmittelbar nach seinem eigenen Eintreffen in Nikolajew aufgetaucht ist und dann "wochenlang" in einem Bereich des Kasernengeländes, der entweder noch zum Lager gehörte oder daran angrenzte, Leichen ausgegraben und verbrannt hat. Er erfuhr damals jedoch unter der Hand, dass an dieser Grabstelle "unheimlich viel", nämlich etwa 10-12000 Nationalukrainer "umgelegt" worden seien. Dagegen ist dem Zeugen nie etwas davon bekannt geworden, dass in dem Lager vor seiner Zeit - etwa durch eine Seuche - massenweise Kriegsgefangene ums Leben gekommen wären. Er hielt dies nach seinem damaligen Einblick in die seinerzeitigen Zustände im Kriegsgefangenenwesen auch für ganz unwahrscheinlich. Der Zeuge He. erinnerte sich auch daran, dass ausserhalb der fraglichen Grabstelle noch weitere Gräber lagen. Diese seien jedoch nicht ausgehoben worden. Im übrigen war sich der Zeuge völlig sicher, dass es den Lagerkommandanten "Major Herzog" damals in Nikolajew nicht gegeben hat und dass er, He., selbst es keinesfalls gewesen ist, der die Anregung dazu gegeben hat, die Leichen ehemaliger Kriegsgefangener aus dem Lager auszugraben und zu verbrennen. Das Schwurgericht hatte nicht den geringsten Anlass, an der Wahrheit der Bekundungen dieses Zeugen, der nicht nur ein gutes Erinnerungsvermögen bewies und einen sehr guten persönlichen Eindruck hinterliess, sondern auch nach den beiden über ihn bekannt gewordenen dienstlichen Beurteilungen als sehr zuverlässig angesehen werden muss, zu zweifeln. Schon aufgrund dieser Aussage war deshalb das Vorbringen des Angeklagten Zie. als widerlegt zu betrachten.

 

Auch der Angeklagte erkannte, dass er an den glaubhaften Bekundungen des Zeugen nicht zu rütteln vermochte. Obwohl das Gegenteil geradezu auf der Hand liegt, versuchte er deshalb glauben zu machen, der von ihm benannte Lagerkommandant "Major Herzog" sei mit dem überraschend ermittelten Zeugen He. nicht identisch. Von Major Herzog könne er zusätzlich berichten, dass ihm dieser beim ersten Zusammentreffen einen Schäferhund geschenkt habe. Schon hierdurch unterscheide sich für ihn Herzog vom Zeugen He., den er nie bewusst kennengelernt habe. Um sein Vorbringen auch zeitlich an die Aussage des Zeugen He. anzupassen, ging Zie. noch einen Schritt weiter: Bis zum Auftreten und der Vernehmung des Zeugen He. hatte er es stets als "eindeutig" bezeichnet, dass das Teilkommando 1005 B Anfang November - etwa in der ersten Novemberwoche - 1943 in Nikolajew eingetroffen ist (HV-Prot. S.335, 336). Diese Zeitangabe deckte sich genau mit He.s Aussage, das Teilkommando 1005 B sei unmittelbar nach seinem Amtsantritt im Lager Nikolajew (5.11.1943) in der Stadt eingetroffen. Sie war daher glaubhaft. Danach hat es freilich für Zie. in Nikolajew keinen Lagerkommandanten "Herzog" mehr geben können, denn bei Zie.s Auftreten war schon - und zwar auch bei Zugrundelegung seiner eigenen nachträglich so überraschend erhärteten Zeitangabe - der Zeuge He. Kommandant des Lagers Nikolajew: Ein weiterer Beweis dafür, dass Zie. mit "Herzog" in Wahrheit den für unauffindbar gehaltenen Zeugen He. gemeint hatte. Der Angeklagte erkannte sogleich, dass nunmehr seine ursprüngliche Zeitangabe im Zusammenhang mit dem unerwarteten Auftreten des Zeugen He. gegen ihn sprach, und versuchte deshalb, diese ursprünglich mit aller Sicherheit gemachte Zeitangabe selbst umzuwerfen, indem er sie plötzlich dahin einschränkte, dass er "selbstverständlich" auch schon ein paar Tage früher in Nikolajew erschienen sein könne. Indessen musste dies angesichts der klaren Aussage des Zeugen He., dass das Kommando nach dem 5.11.1943 aufgetaucht sei, und im Hinblick auf Zie.s ursprünglich damit übereinstimmende und als sicher bezeichnete Aussage, als eine bezeichnende Ausflucht verstanden werden. Dass Zie. hier lediglich bemüht war, ein offensichtlich gewordenes Lügengebäude zu retten, wurde auch daraus ersichtlich, dass sich der vom Angeklagten für den Abzug aus Kriwoj Rog genannten Zeitpunkt "Mitte Oktober" mit dem Datum "16.10.1943", das Ad. in seinem Statement für diesen Zeitpunkt nennt, deckt, woraus nicht nur hervorgeht, wie richtig Zie.s ursprünglich vorgetragene Zeitvorstellungen sind, vielmehr weist dieses Datum des Abzugs aus Kriwoj Rog seinerseits auf das Eintreffen in Nikolajew erst im November hin; denn alle