Justiz und NS-Verbrechen Bd.VIII

Verfahren Nr.260 - 297 (1950 - 1951)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.293b OLG Frankfurt/M. 25.07.1951 JuNSV Bd.VIII S.758

 

Lfd.Nr.293b    OLG Frankfurt/M.    25.07.1951    JuNSV Bd.VIII S.759

 

§338, Note 16). So weitgehende Mängel sind indes nicht ersichtlich.

 

Dagegen muss der Revision zugegeben werden, dass die tatsächlichen Feststellungen des Urteils in materieller Beziehung unvollständig, lückenhaft und in einzelnen Punkten auch widerspruchsvoll sind, so dass das Urteil keinen Bestand haben kann.

 

2. Zur äusseren Tatseite ist nicht ersichtlich, ob das Schwurgericht davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte T. sich durch den Befehl zur Erschiessung der 5 Ausländer eines Totschlages schuldig gemacht hat, oder ob das Schwurgericht fünf rechtlich selbständige Handlungen angenommen hat. Der Umstand, dass das Schwurgericht gegen T. nur eine Strafe verhängt hat, lässt zwar vermuten, dass das Schwurgericht eine einheitliche Handlung für gegeben hielt. Es fehlen aber alle Ausführungen darüber, warum nicht - was nach dem Sachverhalt nahelag - fünf rechtlich selbständige Handlungen angenommen worden sind.

 

3. In den Feststellungen zur äusseren Tatseite ergibt sich ferner ein erheblicher Widerspruch insoweit, als unter II. des Urteils festgestellt wird, der sogenannte Katastrophenerlass sei in Kassel in der Karwoche 1945 durch Rundfunk bekanntgegeben worden; im Gegensatz hierzu geht das Urteil unter V. davon aus, dass der Katastrophenerlass lediglich im Wege einer Geheimanweisung ab die höheren SS-Führer ergangen sei. Dieser Widerspruch ist erheblich, weil das Schwurgericht aus der Geheimhaltung des Erlasses folgert, dass derselbe keine Rechtswirksamkeit erlangt habe. Auf die Art der Bekanntmachung kann es ferner auch für die Beurteilung der inneren Tatseite ankommen.

 

4. Das Urteil führt - an sich zutreffend - aus, dass die Ausländer keinesfalls ohne Vernehmung und ohne jedes gerichtliche Verfahren erschossen werden durften, und dass sogar noch die Verordnung vom 15.2.1945 über die Einrichtung von Standgerichten die sinngemässe Anwendung der Strafprozessordnung vorgeschrieben hat. Für den vorliegenden Fall stellt das Urteil jedoch nur fest, dass zur Tatzeit das nächste ordentliche Gericht noch in Witzenhausen bestanden hat, dass die Ausländer jedoch mangels der erforderlichen Transportmittel nicht hingebracht werden konnten. Es fehlte jede Ausführung darüber, ob in Kassel selbst Standgerichte bestanden haben bezw. ob solche hätten errichtet werden können und warum dies nicht geschehen ist. Diese Feststellung ist nicht nur für eine erschöpfende Beurteilung des äusseren Sachverhalts wesentlich, sondern sie kann gleichfalls ausschlaggebende Bedeutung für die innere Tatseite haben.

 

5. Ferner ist hinsichtlich des Angeklagten T. die Prüfung unterblieben, ob nicht auch auf ihn die Bestimmung des §47 MilStGB Anwendung finden musste. Diese Prüfung wäre umso notwendiger gewesen, als das Schwurgericht festgestellt hat, dass die Befehlsgewalt in Kassel zur Tatzeit dem Wehrmachtsgeneral E. übertragen war, während der Angeklagte T. der Schutzpolizei nur noch Befehle und Weisungen wirtschaftlicher, verwaltungsmässiger und personeller Art erteilen konnte (vgl. Urteil unter II.). Es ist ferner vom Schwurgericht als wahr unterstellt worden, dass General E. auch von sich aus als Kampfkommandant von Kassel einen Befehl erlassen hat, der dasselbe besagte, wie der sogenannte Katastrophenerlass. Bei dieser Sachlage hätte geprüft werden müssen, ob nicht der Angeklagte T. zu General E. ebenfalls in einem Unterordnungsverhältnis gemäss §47 MilStGB gestanden hat.

 

6. Bei der neuerlichen Prüfung des Sachverhalts wird andererseits nicht übersehen werden dürfen, dass selbst nach dem Katastrophenerlass, so wie das angefochtene Urteil seinen Inhalt wiedergibt, Plünderer nur dann sofort zu erschiessen waren, wenn sie auf frischer Tat ertappt wurden. Für die Annahme, dass diese Voraussetzung hinsichtlich der 5 Ausländer gegeben war, fehlte es bisher an jedem Anhalt. Es ist noch nicht einmal festgestellt, dass sie überhaupt geplündert hatten. Auch ihre Beteiligung an der Ermordung des Bahnbeamten Lotze ergibt sich aus dem Urteil nicht hinreichend. Bezüglich der beiden Frauen ist insoweit überhaupt nichts festgestellt.