Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.756

 

"8.3.1940: Heute ging ich zum Lagerbau Gusen arbeiten. 6 km marschieren. Drei Tote von Kapo Matucha erschlagen. Alle Capos sind brutal und es ist 27 Grad Kälte. Ich   arbeite im Kommando Walter Jun. aus Hamburg.

9.3.1940: Nichts besonderes. Tote sind hier nichts Neues, die gibt es täglich .....

11.3.1940: Heute ist es ruhig.

12.3.1940: Capo Matucha hat 2 Mann mit dem Pickelstiel erschlagen.

SS-Oberscharführer Killermann ist nicht zu trauen! Ist sehr brutal.

13.3.1940: Heute sind 7 Tote, ich muss Schlitten mit Toten ziehen. Ich bin fertig und habe keinen Hunger.

23.3.1940: Morgen wird nicht zur Arbeit ausgerückt. Ich habe viel Hunger. Krämer stielt wieder Brot .....".

 

Obwohl der Zeuge Ha. vielfach vorbestraft ist - u.a. auch wegen Rückfallbetruges - und er in der Hauptverhandlung nicht den Eindruck machte, als sei er sonderlich bemüht, dem Gericht bei der Wahrheitsfindung zu helfen - ist seiner Aussage zu den Verhältnissen in Gusen vorbehaltslos zu glauben. Es wurde bereits ausgeführt, dass das Gericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Tagebuchnotizen des Zeugen wahrheitsgemässe Schilderungen und ehrliche Überzeugungen aus dem damaligen Lagerleben wiedergeben. Die Aussage des Zeugen und seine oben wiedergegebenen Tagebuchnotizen stimmen auch mit den Bekundungen anderer Zeugen überein. Schliesslich wurde in der Hauptverhandlung das Bemühen des Zeugen offenbar, den Angeklagten Streitwieser weitgehend zu entlasten. Er hielt ihn - wie bereits ausgeführt - noch "für den Besten von allen", nicht für einen solchen Unmenschen wie etwa Kirchner, Killermann und Chmielewski. Aus diesem Grunde kann man dem Zeugen zumindest dort ohne Vorbehalte trauen, wo er für den Angeklagten Streitwieser Belastendes bekunden muss. Dass aber die furchtbaren Zustände beim Aufbau von Gusen den Angeklagten belasten, war dem Zeugen ersichtlich klar.

 

Der Zeuge Cih. hat bekundet, dass er als Sanitäter und Schreiber beim Lageraufbau in Gusen tätig gewesen sei. Das gesamte Kommando habe nur aus völlig entkräfteten Häftlingen bestanden. So habe es wegen der Strapazen täglich 3-4 Tote gegeben. Je nach Wetter und Art der Arbeit hätten die Häftlinge Mäntel, Ohrenschützer und Handschuhe ablegen müssen. Nachdem der Zeuge zunächst gemeint hat, zusammengebrochene Häftlinge seien in Baracken gebracht worden, hat er nach Vorhalt anderer Zeugenaussagen erklärt, es sei schon möglich, dass sich diese Zeugen vielleicht besser erinnerten.

Der Zeuge Cih. ist ein nicht vorbestrafter politischer Häftling, der auf das Gericht keinen schlechten Eindruck gemacht hat. Wenn der Zeuge im Gegensatz zu den anderen Zeugen die Verhältnisse beim Lageraufbau in verschiedenen Einzelpunkten nicht so grauenvoll geschildert hat, so sicher nicht, weil er bewusst die Unwahrheit gesagt hat, sondern einfach deshalb, weil er als Funktionär - Sanitäter und Schreiber - eine Sonderstellung genoss und die Unmenschlichkeit der Verhältnisse am eigenen Leib nicht so zu spüren bekam. Aus diesem Grunde folgt das Gericht der Aussage des Zeugen nicht, wo er im Gegensatz zu allen anderen Zeugen, die die Verhältnisse persönlich erlitten haben, bekundet, die Häftlinge hätten wärmende Bekleidungsstücke nur bei bestimmten Wetterverhältnissen und nicht stets ablegen müssen oder dass zusammengebrochene Häftlinge in Baracken geschafft worden seien.

 

Der Zeuge Stro. hat bekundet, dass er als SS-Unterführer bei der Truppenverwaltung Anfang 1940 den Auftrag erhalten habe, das Lager Gusen unterkunftsmässig auszustatten. Zunächst sei es dem Aufbaukommando nicht schlecht gegangen; erst als es sich ständig vergrössert habe, seien die schlimmsten Dinge geschehen, die dem Zeugen "gegen die Natur" gegangen seien. Täglich habe es bis zu 5 Tote gegeben, die auf Schlitten nach Mauthausen zurücktransportiert worden seien. Im strengen Frost hätten "einige Häftlinge" Mäntel, Mützen und Handschuhe ablegen müssen. Er habe keine Feuer gesehen, an denen sich Häftlinge wärmen